5 1/2 Wochen
kann mich wieder entspannen. Diese Weite des Landes beeindruckt mich tief. Das Grün der Felder und das Blau und Weiß des Himmels prägen sich in „die Ecke der schönsten Erinnerungen“ meines Gehirns. Ich staune über einige schneeweiße Felder, die deutlich aus der Landschaft hervorstechen. Bin gespannt, was das ist. Schnee kann das nicht sein, dafür ist es viel zu heiß - das ist sicher. Und noch etwas kommt mir in den Sinn: „Ohren nach hinten aufhalten, mit Fahrradpilgern ist zu rechnen.“ Das bleibt mir aber erspart. So laufe ich, völlig eins mit der Natur, die nächsten Kilometer glücklich und zufrieden auf „meinem Camino“. Übrigens glaube ich, dass es sich auf den weißen Feldern um Kalk handelt. Ein bisschen abseits des Wegs befinden sich offene Kalkbrüche.
Kurz bevor ich den Pisuerga auf der Puente Fitero, einer romanischen Brücke, überquere und damit die Provinz Burgos verlasse, ruft Hermann an. Er ist ungefähr zehn Kilometer weiter als ich. Aufgeregt erkundigt er sich nach unserem Befinden. Er hat gedacht, ich hätte wegen Ruddi meine Mission Jakobsweg abbrechen müssen, weil er seit ein paar Tagen nichts mehr von mir gehört oder gesehen hat. Wir erstatten uns kurz gegenseitig Bericht über unsere Erfahrungen. Bei ihm ist ebenfalls alles in Ordnung, er verläuft sich auch nicht mehr so oft. Ich habe mich sehr über seinen Anruf gefreut. Wir sind beide gespannt, ob wir uns nochmal begegnen. Die Chance ist groß, er will ja auch bis Santiago de Compostela gehen.
Direkt am Fluss befindet sich die kleine Herberge San Nicolás, die früher ein Pilgerhospital war. Davor sitzen einige Pilger und der Herbergsvater mit seinem Schäferhund. Ruddi und ich werden freudig begrüßt und eingeladen, ein bisschen zu verweilen. Der Hospitalero bietet mir sofort seinen Sitzplatz an. Die beiden Hunde verstehen sich auf Anhieb und streunen ein bisschen herum. An diesem Ort fühle ich mich sofort wohl. Die Leute sind vollkommen entspannt, gut gelaunt Und zuvorkommend. Sie machen den Eindruck auf mich, als wären sie eine große Familie. Dabei kennen sie sich alle erst seit ein oder zwei Stunden. So ist das auf dem Pilgerweg, man ist sich sehr schnell sehr vertraut. Ich erfahre, dass es hier lediglich zwölf reguläre Schlafplätze gibt, jedoch mindestens schon 17 oder 18 Pilger für die Nacht untergebracht sind. Schade, hier wäre ich gerne geblieben, obwohl es eine Herberge ist. So wie es aussieht, gibt es nicht einmal ein richtiges Bad, aber dieser Ort hat eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich. Ich kann mich nur schwer loseisen.
Die letzten ein oder zwei Kilometer bis Itero de la Vega verlaufen neben dem Fluss, an dessen Ufer viele große Bäume stehen. So kann ich ein bisschen Schatten finden und Ruddi bahnt sich seinen Weg durch das kühle Unterholz. Am frühen Abend erreichen wir unser heutiges Etappenziel. Und da ist wieder dieses fast unbeschreibliche Gefühl, das sich beim Pilger einstellt, wenn er angekommen ist. Ein Baby könnte sich so fühlen, wenn es die ersten Schritte vom Couchtisch bis zum Sessel macht und sich nach dem Ankommen erleichtert und unendlich stolz mit dem Oberkörper auf die sichere, weiche Unterlage fallen lassen kann. Es war schwer, aber doch so schön und außergewöhnlich, dass es von nun an jeden Tag ein paar Schritte mehr machen will und wird. Immer mit der Gewissheit, dass es sich am, von ihm selbst ausgesuchten Ziel, weich fallen lassen darf. Wenn es sich unterwegs mal den Kopf gestoßen hat, schreit es kurz auf und läuft dann umso entschlossener weiter seinem Ziel entgegen. Und wenn es abends todmüde, frisch gebadet und satt in seinem Bettchen liegt, träumt es von neuen Zielen am folgenden Tag. Ja, so ähnlich fühle ich mich.
Gleicher Tag (insgesamt 344,4 km gelaufen)
Itero de la Vega (226 Einwohner), 772 m üdM, Provinz Palencia
Herberge m. Hotelzimmern, 22 Euro pro Person ohne Frühstück
Gleich am Ortseingang betrete ich eine sehr große Gaststätte. Ich werde fürstlich empfangen. Ruddi läuft vor mir auf das Besitzer- Ehepaar zu und springt zur Begrüßung an ihnen hoch. Sie knien sich hin, um ihn zu streicheln. „Qué bonito, qué buena compañía (wie hübsch, was für eine nette Begleitung)!“ Sehr angetan von dieser ausgefallenen Begrüßung bestelle ich mir meinen Café con leche. Mein Hund wird immer noch liebkost, hat schon ein Schälchen Wasser vor sich stehen. Ich bemerke, dass er viel mehr trinkt, als sonst. Daran ist wohl der Schinken
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