5 1/2 Wochen
finde. Ein winziges Plätzchen in einer Ecke ist noch frei, an dem ich meinen Café con leche trinken kann. Das tut mir aber auch nicht wirklich gut. Der Service ist unfreundlich, wirft einen herablassenden Blick auf meinen Vierbeiner, die Tische sind unordentlich, der Raum ist proppenvoll mit Menschen und zu allem Überfluss „knösig“. Der übliche Bar-Fernseher ist auf volle Lautstärke eingestellt. Ruddi guckt mich an, als wollte er sagen: „Das ist doch wohl nicht Dein Ernst, mir brennen gleich die Sicherungen durch!“ Wir müssen hier weg und zwar ganz schnell.
Es ist denkwürdig, wie unaufdringlich plötzlich der „pure“ Durchgangsverkehr nach dieser Bar-Szenerie auf mich wirkt, fast erholsam. Nach wenigen hundert Metern überquere ich die von den LKW-Fahrern so begehrte Nationalstraße und somit ist das Thema fast durch. Es gilt jetzt noch eine Mega-Baustelle zu durchlaufen. Ich glaube, dass an dieser Stelle so eine Art Autobahnkreuz entsteht. So weit mein Auge reicht, sehe ich nichts als Sand, schwere Baustellenfahrzeuge, Kräne und die dazugehörigen Arbeiter. Die Camino-Wegweiser fehlen gänzlich. Ich habe keine Ahnung wo ich lang muss. Ich entdecke keine anderen Pilger, denen ich jetzt ausnahmsweise noch einmal hinterherlaufen würde. Mein Reiseführer kennt diese baulichen Veränderungen natürlich auch nicht. Einer der „Schwerstarbeiter“ kommt auf mich zu und deutet mir an, dass es geradeaus nach Santiago de Compostela geht. Ich muss lachen, denn er hätte logischerweise das zirka 20 Kilometer entfernte Carrión de los Condes nennen können. Nein, er bezieht sich auf Santiago - sind ja auch nur noch schlappe 400 Kilometer bis dahin!
Was bleibt mir anderes übrig, als diesem hilfsbereiten „obrero de la construcción“ (Bauarbeiter) zu glauben, obwohl ich das Gefühl habe als wollte er mich in die Wüste schicken. Diese weitläufige Baustelle besteht nämlich aus ganz feinem Sand und das Ende ist nicht abzusehen. Bei jedem Schritt versinke ich einige Zentimeter in den Aberbillionen Gesteinskörnchen. Kann man hier vielleicht Kamele mieten, auf denen ich bis an den Rand dieser Einöde reiten kann? Aber wer weiß, vielleicht laufe ich ja auch direkt aufs Meer zu?!
Nach gefühlten 400 Kilometern hat diese Odyssee endlich ein Ende und ich finde mich auf einem Fußgängerweg wieder, der direkt neben der Landstraße verläuft. Alle 25 Meter stehen mitten auf diesem zwei bis drei Meter breiten Weg zwei Betonpfähle mit einer abgebildeten gelben Jakobsmuschel auf blauem Grund. Es ist ein interessanter Ausblick und hundertfache Bestätigung, dass der Pilger nun wieder auf dem richtigen Weg ist. Wie in meinem Reiseführer beschrieben wird dieses Stück Camino Francés über 20 Kilometer bis Carrión de los Condes schnurgerade und ständig neben der erwähnten Straße entlang führen. Sie ist mäßig befahren, kein Vergleich zu einer Nationalstraße. Hier sind nur ab und zu mal LKW unterwegs, ungefähr alle 60 Sekunden rauscht ein Auto vorbei. Ich bin froh, dass ich Ruddi beigebracht habe, niemals einfach so den Weg zu verlassen, auf dem er gerade läuft. Er weiß, dass er keinesfalls - ohne mich zu fragen - seine Pfoten von einem naturbelassenen Untergrund auf Asphalt setzen darf. So darf er also ohne Leine laufen. Übrigens stehen hier keine Bäume, das heißt, der Pilger und sein Hund wäre der Sonne gnadenlos ausgesetzt, wenn es nicht ein paar Wolken am Himmel gäbe. Ja, wie könnte es auch anders sein: Das Universum hat meinen Befehl, mir Schatten zu spenden, perfekt ausgeführt. So laufen wir - endlich wieder ganz entspannt und gemütlich - bis nach Revenga de Campos.
Nach guten sieben Kilometer genehmige ich mir in einer kleinen gemütlichen Bar einen, na, was? Genau...! Die Gäste sind allesamt Spanier und zwar männliche, bis auf eine(n) und die Bedienung. Die Atmosphäre ist typisch: Lachen, lautes durcheinander Reden, Karten spielende Männer, ohrenbetäubendes Fernsehprogramm - insgesamt lebhaft und gastfreundlich. Ich bin davon überzeugt, dass hier heute ein „Mus“-Turnier stattfindet. Das ist ein spanisches Kartenspiel, das die meisten Spanier kennen. Es sind sicher so um die dreißig bis vierzig Spieler, die temperamentvoll um den Sieg kämpfen. Ich setze mich an den einzigen freien Tisch und lasse diese Lebensfreude genussvoll auf mich wirken.
Am Ortsausgang von Villarmentero de Campos befindet sich ein idyllischer Rastplatz. Tische und Bänke aus Holz stehen unter großen
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