5 1/2 Wochen
ganze Zeit einen Fuß vor den anderen setzen. Ich nehme das als Entspannungs- und Wellness-Wandern. Den Kiesweg betrete ich erst gar nicht, gehe gleich auf die Straße. Ich lasse einfach die rhythmische Gleichmäßigkeit meines Schrittes durch meinen ganzen Körper fließen. Das kann, wenn ich will, eine Meditation werden. Einfach gar nicht denken, ist doch auch mal was, oder? Mal sehen, was dabei rauskommt.
Um Viertel vor eins erreichen Ruddi und ich - fix und fertig von der Hitze, mental aber komplett entspannt - Reliegos. Ein Dörfchen mit knapp 300 Einwohnern. Es sieht ziemlich verlassen und arm aus. Ich fühle mich gerade wie zwei in einem. Einerseits habe ich eine unglaubliche innere Ruhe erlangt, andererseits ist mein Bewegungsapparat völlig im Eimer. Alles, wirklich ALLES tut weh! Da geht gar nichts mehr. Es ist brüllend heiß. Meine Wasserflasche haben Ruddi und ich bereits vor zwei Kilometern gekillt. Ich bin heilfroh, dass “Schnurzel” so gut durchgehalten hat. Zwischendurch habe ich ihn - zwar gegen seinen Willen, aber mit guten Worten - immer wieder nass gemacht, damit sich sein Körper nicht so aufheizt. Ich bin auch nass - allerdings in Schweiß gebadet. Das Wasser hat nicht für uns beide gereicht.
Ich brauche sofort und auf der Stelle einen Stuhl, lieber noch eine Pritsche und einen Tropf, der die verlorene Flüssigkeit direkt in meinen flach hingelegten Körper hineinlaufen lässt. Ein Stündchen schlafen wäre schön! Dann ginge es bestimmt wieder munter weiter!
Keine Menschenseele ist zu sehen, als wir uns durch die Gassen dieses Kaffs schleppen. Wo ist die Bar? Es muss eine geben! Mein Reiseführer lügt nicht! Wo ist sie denn nur? Sie ist doch meine persönliche rettende Oase hier im Páramo. Plötzlich höre ich Gemurmel von mehreren Menschen. Ich zwinge mich Schritt für Schritt weiter und komme diesem himmlischen Geräusch immer näher. Und da ist die Rettung: Eine Bar! Ein paar Tische vor einer Lehmhütte! Zirka acht Menschen sitzen hier und lassen kühle Getränke ihre Kehlen hinunterlaufen. Ich kenne niemanden, aber sie winken mir zu - wie es nur Pilger tun - und sind total ausgelassen. „Die waren schon am Tropf,” denke ich.
„Uns ging es allen so, als wir hier ankamen. Geh mal um die Ecke in die Bar rein und hol Dir was Kaltes. Dann fühlst Du Dich gleich wieder besser.” Eine der Frauen fackelt nicht lange, springt voller Elan aus ihrem Plastikstuhl hakt sich bei mir ein, als ob wir alte Freunde wären, und führt mich an die Tränke. Auf den geschätzten 15 Metern sagt sie mir auf astreinem Deutsch, dass sie Liz heißt und aus Norwegen kommt. Sie kennt mich. “Wieso?” “Ich kenne Hermann und er hat ganz viel von euren gemeinsamen Etappen erzählt. Da Du die einzige Frau mit einem kleinen schwarzen Hund bist, kannst ja wohl auch nur Du die Birgit mit dem Ruddi sein.” Sie ist ganz aus dem Häuschen, mich persönlich kennenzulernen. Ich freue mich aber auch sehr darüber, dass sie Hermann kennt. Obwohl man sich noch nie gesehen hat, ist man sich nicht mehr fremd, wenn es jemanden gibt, den beide Seiten kennen. “Ich habe Dich gestern in Sahagún mit einer Frau beim Abendessen gesehen. Da kam doch Hermann zu Dir an den Tisch und hat Dich begrüßt. Ich saß mit an seinem Tisch”, sagt Liz ganz begeistert. Es fasziniert mich immer wieder, wie die Dinge so zusammenhängen.
Diese Bar, die wir jetzt betreten, ist so karg, wie ich es noch nie gesehen habe. Karg ist noch untertrieben, sie ist völlig baufällig und heruntergekommen. Hier drinnen sitzt eine Frau einsam an einem der Tische und an der Bar bestellen drei oder vier Pilger ihre Getränke bei einem gelangweilt und müde wirkenden Wirt, der aussieht, als gehörte er in einen Western-Saloon mit allem was dazu gehört. Ja, das trifft es ganz gut: ein uralter, völlig verwahrloster Saloon aus längst vergangenen Zeiten - es fehlen nur noch die rollenden Steppenbüsche vor der Tür.
Es läuft eine Platte - es kann nur eine Platte sein! - von Elvis. Der hatte ja, wie alle wissen, echt Rhythmus im Blut. Die Musik ist laut. Liz und ich gucken uns an, lachen, nicken uns zu und los geht’s. Wild und hemmungslos tanzen wir nach den, der ganzen Welt bekannten, Hits des Kings. Wir vergessen alles um uns herum. Nichts tut mehr weh. Der ganze Körper spielt auf einmal wieder mit. Der Cowboy dreht seine alte Anlage bis zum Anschlag auf - YEE HA! - und feuert uns im Takt klatschend laut lachend an. Er fliegt hinter seinem
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