5 1/2 Wochen
ist. Ruddi ist froh, dass er ohne Helmut unterwegs ist. Ich bin gut drauf. Und zack... Schon sind wir in Mansilla de las Mulas. Na gut: zwei, drei Stunden später.
Es gibt fast 1800 Einwohner, Herbergen, Bars, Pensionen, Hotels, Supermärkte und Apotheken. Alles was das Herz begehrt. Meins will momentan aber lediglich einen Café con leche - ich hatte heute erst einen. Bevor ich die City erreiche, betrete ich eine Gaststätte, in der ich mal wieder mit den Wirtsleuten alleine bin. Sie haben die Küchentür weit offen stehen und ich sehe, dass sie gerade beim Essen sind. Sofort kommt ein junger Mann, vermutlich der Sohn, und fragt nach meinen Wünschen. Auch hier bekomme ich einen besonders guten Milchkaffee. Hm, lecker!
Ich sitze an einem großen Fenster zu einer ruhigen Straße raus und habe einen guten Blick auf die Kirche. Auf der Kirchturmspitze gibt es zwei Storchennester. Die Vögel sind damit beschäftigt, die Nester weiter auszubauen und fliegen immer wieder weg, um nach Baumaterial zu suchen. Es ist schön, ihnen dabei zuzusehen. Das sind schon richtig gute Organisationstalente, diese Störche. Sie suchen sich eine schöne Stelle, finden in der Natur alles, was sie für ihr neues Zuhause brauchen und arbeiten dann Hand in Hand bis alles bereit ist, um gemeinsam Kinder zu bekommen und großzuziehen. Es handelt sich zwar um Vögel, aber trotzdem meine ich, eine Liebe zwischen ihnen zu spüren. Ach ja! Dieses Naturschauspiel macht mich ein bisschen sentimental...
Liefe es doch bei den Menschen auch so leicht und beschwingt ab. Aber wenn wir eine Familie gründen wollen, fangen wir ja zunächst einmal damit an, eine Bank zu finden, die unser zukünftiges Heim finanziert und wenn die gefunden ist, geht der Stress erst richtig los. Architekt, Baufirma, Zulieferer, nicht geplante Rechnungen, schlecht- Wetter-Phasen, Meinungsverschiedenheiten bei der Inneneinrichtung und so weiter und so fort. Und wenn das Haus dann fertig ist, wollen viele gar keine Kinder mehr, weil sie nicht mehr wissen, ob sie füreinander geschaffen sind. Gott sei Dank, läuft es nicht immer so - aber manchmal eben doch. Gewissermaßen ist auch das amüsant. Ist halt auch eine Möglichkeit herauszufinden, wie groß die Liebe ist.
Halb vier! Sechs Kilometer liegen noch vor uns. Ab jetzt führt der Camino an der Nationalstraße entlang. Das heißt: Viele Autos, viel Lärm, viel Staub. Egal, ich freu mich trotzdem auf den letzten Etappenabschnitt für heute und mache mich munter auf den Weg.
In der City gibt es vier oder fünf Bars, die auch draußen servieren. Hier ist richtig was los. Jede Menge Leute sind unterwegs. Ein Misch-Masch von Pilgern und Einheimischen tummelt sich in den Gassen. Herrlich! Immer wieder erkenne ich jemanden, den ich irgendwann einmal auf dem langen Weg von Saint Jean Pied de Port bis hierhin getroffen habe oder ich werde von den anderen wiedererkannt. Und die Freude ist immer so grandios. So viel Herzlichkeit, obwohl man sich nur in irgendeiner Bar mal kurz unterhalten hat. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber es ist einfach zu schön. Wir stellen uns gegenseitig ein paar Fragen und freuen uns darüber, dass wir mit unseren Zweifeln, Schmerzen, kalten Duschen, Freudentänzen und Café con leche-Süchten nicht alleine sind.
gleicher Tag (insgesamt 461,4 km gelaufen)
Puente de Villarente (154 Einwohner), 804 m üdM, Provinz León
Hotel, Doppelzimmer, 24 Euro pro Person ohne Frühstück
Nach den doch nervenaufreibenden letzten sechs Kilometern bin ich überaus glücklich, in Puente de Villarente angekommen zu sein. Wie schön war doch heute Morgen der „ach-so-langweilige“ Weg über die Nebenstraße. Einmal mehr weiß ich etwas erst zu schätzen, wenn ich es nicht mehr habe. Okay! Loslassen, Birgit! Jetzt sind eben die National- und Schnellstraßen dran. Ruddi wird sich daran gewöhnen, zwischendurch auch mal wieder angeleint laufen zu müssen.
Der Ort hat nur 154 Einwohner - ist also recht klein. Aber die Brücke über den Fluss Porma hat es ganz groß in sich. Ich befinde mich immer noch auf der Nationalstraße, die wirklich sehr befahren ist. Ein LKW nach dem anderen donnert an uns vorbei. Ruddi muss schon seit einiger Zeit an der ganz kurzen Leine laufen, aber über die Brücke muss ich ihn in seinem Notfallnetz vor meiner Brust tragen, sonst überleben wir das beide nicht.
Wir haben nur einen halben Meter breiten „Bürgersteig“ zur Verfügung. Ich traue mich kaum zu atmen, damit ich die zwei
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