5 1/2 Wochen
Tresen hin und her, macht hier einen Handgriff und da einen, wie es einer tut, der 100 Gäste auf einmal zu bewirten hat. Ja, ja! Die Energien verbinden sich mal wieder miteinander. Immer mehr Pilger kommen rein, um zu sehen, was hier passiert und bleiben staunend stehen.
Völlig außer Atem bestellen wir nach ungefähr zehn Minuten das kalte Getränk und Liz lacht: „Als Du eben auf uns zugekrochen kamst, dachte ich, Du würdest jeden Moment aus den Latschen kippen. Und dann machst Du so was. Ich glaub es ja wohl nicht!” Ich auch nicht. Ich lasse Liz wieder nach draußen zu ihren Freunden gehen und bleibe im kühlen inneren des Saloons. Ruddi ist völlig irritiert und möchte ganz gegen seine Pilger-Hund-Gewohnheit vorsichtshalber auf meinem Schoß ein Schläfchen halten. Na, ich bin ja gar nicht so! Er strahlt zwar eine Hitze aus, wie ein Lagerfeuer am Wigwam, aber wenn er’s braucht, dann kriegt er’s auch.
Genauso schnell wie die Partystimmung eben in mir aufkeimte, ist sie wieder verschwunden. Das war kurz, aber heftig und sehr wirkungsvoll. So gut hätte mir eine Tropfinfusion auf einer Pritsche nicht helfen können. Und doch staune ich nochmal für mich ganz alleine und in mich hinein: „Also, dass ich - völlig fertig mit der Welt mittags in einem gottverlassenen Dorf im leónesischen Spanien in einer der letzten Bars tanze...”
Eine Dreiviertelstunde später mache ich mich unglaublich gestärkt wieder auf den Meditationsweg, aber diesmal sind es nur sechs
Kilometer bis zum nächsten Ort, Mansilla de las Mulas. Die Bahnstrecke wird mir fehlen, die hat kurz vor Reliegos eine scharfe Linkskurve gemacht. „Sechs Kilometer, die machen wir doch auf einem Bein, oder Ruddi?“ Er antwortet nicht, sondern schnuppert kopfschüttelnd an der Hauswand rum.
Ungefähr 20 Meter weiter, immer schön dem gelben Camino-Pfeil folgend, biege ich um die Häuserecke und staune nicht schlecht. Ich befinde mich direkt vor einem - nach den Eindrücken der letzten Stunde - vornehmen Café. Das ist eine ganz andere Welt. Etwas oder jemand muss mich weggebeamt haben. Der ganze Straßenzug passt nicht zu dem, was ich bis vor zwei Sekunden gesehen habe. Eine frisch polierte, neue Luxuskarosse parkt vor dem Haus. Es gibt einen Bürgersteig - der ist sogar heruntergeklappt und frisch gefegt!
An einem rot lackierten, sauberen Tisch sitzt eine junge Frau mit einem kleinen Hund auf dem Schoß. Das freut meinen Schnurzel ganz besonders. Er läuft direkt über Los - und muss drei Felder zurück, denn der fremde Mitspieler ist ihm gar nicht gut gesonnen. Der knurrt und schnauzt ihn hündisch warnend an: „Kommst Du mir näher, beiß ich Dir die Nase ab, mein Freund!“ Die Frau findet das witzig und meint: „Der tut nur so, da passiert nichts weiter. Helmut ist halt ne kleine Giftnudel.“
Ich erfahre von ihr, dass sie auch pilgert. Ich staune, weil ich sie noch nie gesehen oder von ihr gehört habe. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man ein Star ist, wenn man mit Hund auf dem Jakobsweg unterwegs ist. Also irgendwie sieht sie anders aus, als der herkömmliche Pilger. So frisch gewaschen, obwohl es schon Nachmittag ist. So nach Parfüm riechend, obwohl sich ein Pilger jedes Gramm mehr im Rucksack erspart. So frisch gebügelt, obwohl es so heiß ist, dass die Klamotten beim Laufen Falten kriegen. So relaxt, obwohl es auch für sie dreizehn lange Kilometer durch die Mittagssonne gewesen sein müssen. Und der Hund: So kratzbürstig und aufgedreht, obwohl er viel zu müde für solche Eskapaden sein dürfte. Ich frage genauer nach und komme schnell dahinter, dass sie fast immer mit dem Zug oder Bus - manchmal sogar mit einem Taxi - fährt. Sie läuft nur ab und zu mal den einen oder anderen halben Kilometer.
Wenn es bergauf geht, kann sie nicht. Bergab ist für ihren Hund Helmut zu gefährlich. Wenn es nass ist, geht die Frisur kaputt und wenn es windig ist, wird’s sowieso anstrengend. Steine tun den Füßen nicht gut. Asphalt heizt sich zu sehr auf. Im Feld sind keine Bäume, die Sonne aber doch. Im Wald, da sind die Jäger... Okay, das hat nicht sie gesagt, sondern das ist meine Interpretation... Nein, ich bin nicht gemein! Ich versuche nur herauszufinden, ab wann man sich Pilger nennen darf. Ach ja, jeder macht den Weg auf seine Weise! Jahaaa!! Ist ja schon gut! Ich finde es erstaunlich, aber auch amüsant.
So, jetzt aber! Auf geht’s! Die Sonne scheint weiter. Wir haben frisches Wasser. Die Landschaft bleibt wie sie
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