5 1/2 Wochen
kriege tatsächlich so etwas Ähnliches wie eine Meditation hin. Nach einer guten Stunde machen wir einen Boxenstopp in einer Bar in Puente Castro, dem ersten Stadtviertel Leons. Es ist sehr unpersönlich hier. Eben Großstadt. Trotzdem brauchen wir beide eine halbe Stunde, um unsere Akkus wieder aufzuladen.
Gegen 14 Uhr erreichen wir die Altstadt von León und ich finde schon seit einiger Zeit keine gelben Pfeile oder sonstigen Camino- Hinweisschilder mehr. Ich fühle, dass ich mich verlaufen habe. Immer wieder spreche ich Menschen an, wie ich denn wohl wieder auf den rechten Weg kommen könnte. Sie wollen es mir auch erklären, aber es ist so verwinkelt hier, es gibt so viele Gässchen, dass ich immer im Kreis laufe. Irgendwann gehe ich einfach meiner Nase nach, nur um hier wegzukommen - egal wo ich auskomme, Hauptsache nicht wieder an der gleichen Stelle.
Hoppla! Das ist aber eine große Kirche, ob das die Kathedrale ist? Dann wäre ich ja wahrscheinlich schon mitten in der City und hätte die Hälfte des Stadtmarathons hinter mir! Ich schau mir das gewaltige Gebäude gerade interessiert an, da spricht mich eine Frau auf Englisch an. Sie pilgert auch, übernachtet aber hier in der Stadt. Sie zeigt auf ihre Herberge auf der anderen Straßenseite. Ich sehe ihr an, dass auch sie froh ist, für heute mit ihrem Pensum durch zu sein. Als sie von meinem Dilemma hört, bringt sie mich wieder auf die markierte Route und weist mir den Weg Richtung Kathedrale. Okay, ich bin also noch nicht durch die halbe Stadt gelaufen, aber wieder auf dem Camino Francés. Das fühlt sich gleich ganz anders an. Denken Sie von mir, was sie wollen, aber der Pilger kann fühlen, ob er sich auf dem richtigen Pfad bewegt. Es müssen die Energien der Millionen Pilger sein, die sich hier im Laufe der Jahrhunderte fortbewegt haben.
Nach zwanzig Minuten stehe ich dann vor der wahrhaftigen Kathedrale. Wie imposant! Einen Moment überlege ich, hinein zu gehen. Aber das lässt die Zeit nicht zu. Ich habe noch mindestens zehn Kilometer vor mir und will auf keinen Fall morgen früh in einer Großstadt aufwachen und den Tag im Verkehrschaos beginnen. Also weiter!
Ich finde schon wieder keine gelben Pfeile. Das gibt es doch gar nicht. Gerade hier müssen welche sein. Obwohl tausende Menschen unterwegs sind, kann mir niemand zeigen, wo ich weiter gehen muss. Ich fasse es nicht. Ich weiß nicht, was mir das sagen will: Jede Großstadt auf dem Pilgerweg ist mein persönlicher Irrgarten. Das kann nur daran liegen, dass ich mich innerlich so gegen sie sperre. Also folge ich wieder meiner Nasenspitze und laufe blind drauflos. Mir kommt der Gedanke, dass ich hier in León große Chancen hätte, mich in einen Zug zu setzen, der Richtung Flughafen fährt. Warum wollte ich den Jakobsweg gehen? Muss ich mir das wirklich antun? Ich könnte auch nach Hause fliegen und es mir gemütlich machen. Vielleicht mache ich das heute noch. Ich mag nicht mehr. Es reicht!
Wenn ich mich so umschaue, muss ich Ihnen sagen, dass es fast unfair ist, so von León zu schreiben. Diese Stadt, die im 11. und 12. Jahrhundert unter Alfons V. zur Hauptstadt des christlichen Spaniens aufstieg, ist wunderschön. Mit Sicherheit ist sie eine Drei-Tage-Reise wert, um all ihre geschichtsträchtigen Sehenswürdigkeiten genießen zu können.
Auf einer breiten vierspurigen Straße, immer noch mitten in León betrete ich ein Café. Es ist keine der üblichen Bars, es ist ein richtiges Stadtcafé, so wie ich es auf der Kölner Schildergasse oder der Düsseldorfer Kö auch finden würde. Leckere Torten werden angeboten. Der Kellner ist schwarz-weiß gekleidet und frisch geduscht. Er hat seinen Job gelernt, das sieht man an seiner ganzen Haltung und Bewegung. Auf den vielen Tischen stehen Blumen und Kerzen auf geplättetem Leinentuch.
Ich lasse mich auf einem der ledergepolsterten Stühle nieder und nehme tatsächlich zu meinem Café con leche ein Stück Kuchen. Trotz der ungewohnt feinen Räumlichkeiten ist Ruddi auch herzlich willkommen. Er liegt wie immer eingekringelt auf seiner hellblauen Decke. „Die hätte auch mal wieder eine Wäsche verdient!“ schießt es mir durch den Kopf. Ich blättere in meinem Reiseführer, um herauszufinden, wo der direkte Weg aus der Stadt führt. Völlig überraschend und mich aus meinem „Studium“ reißend, spricht mich ein junges Ehepaar an. Dankbar für die Abwechslung und gespannt darauf, was das für Menschen sein mögen, biete ich ihnen die freien
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