5 1/2 Wochen
dann im zweiten, dritten und vierten Gang kommt er zu mir gelaufen, um sich sein Leckerchen abzuholen. Die rote Kapuze seines Capes wippt aufgeregt auf und ab. Erst als er sich vor mir aufrichtet, klappt sie nach hinten auf seine Schultern und gibt Ruhe. Ich lobe ihn gerührt über so viel Mut, streichle ihn, gebe ihm ein Extra-Lecker und alles ist wieder gut.
Pustekuchen! Er hat sich entschieden: „Mit Regencape bin ich bewegungsunfähig. Ich bleibe. Mach, was Du willst.“ Ich habe mich ebenfalls entschieden und nehme ihn an die Leine. Ganz langsam setze ich einen Fuß vor den anderen und ziehe schweren Herzens meinen Hund hinter mir her. Ich appelliere an seinen Verstand: „Es muss sein, sorry. Aber Du darfst nicht krank werden. Es sind noch so viele Stunden zu laufen und wenn Du nass bist und die ganze Zeit der kalte Wind durch Dein Fell geht, holst Du Dir was weg. Ein warmes Wohnzimmer habe ich nicht im Rucksack. Komm, stell Dich nicht so an. Bitte!“
Er bewegt zwar seine Pfoten, aber er schleppt sich nur so dahin. Ein weiterer Fahrradpilger macht mir Vorwürfe: „Wie kann man so herzlos sein?“ Sowas lässt sich kein Hundebesitzer gerne sagen. Ich rufe ihm verzweifelt hinterher: „Es liegt am Regencape!“ Aber der hört das nicht mehr, der radelt den Berg runter und ist schon weit weg. Ich ziehe das Ding mit der Leine durch. Er wird sich schon besinnen. Ich gebe aber gerne zu, dass mir diese Aktion nicht nur die letzten Nerven raubt, sondern auch sehr anstrengend ist. Letztendlich laufe ich auch lieber lockerleicht im T-Shirt ohne einen Regen-Poncho, der mir um die Beine weht, einer Leine, die am Hüft-Gurt des Rucksacks festgemacht ist, damit ich beide Hände für meine Wanderstöcke frei habe und zu allem Übel mit der Gewissheit, dass es meinem Hund gerade ziemlich schlecht geht.
Vier Kilometer vor Astorga, in San Justo de la Vega machen wir endlich eine Pause in einer gemütlichen kleinen Bar. Zu allererst wird Ruddi aus seiner Zwangsjacke befreit. Beleidigt und fix und fertig liegt er auf seiner Decke. Wenigstens ist er trocken. Der kriegt sich schon wieder ein. Würde mich freuen, wenn er mich auch mal ansehen würde, um mitzukriegen, dass ich ebenfalls beleidigt bin. Aber das tun Hunde nicht, wenn sie so richtig sauer sind. Gott sei Dank, dauert so ein Zustand nur kurz an. Auch das ist hundetypisch: Nachtragend sind sie nicht wirklich.
Irgendwann gebe ich die Hoffnung auf, dass der Regen nachlässt. Wir haben noch zwölf Kilometer vor uns. Irgendwie muss es weiter gehen. Ich habe nichts mehr hinzuzufügen, außer, dass jetzt wieder - völlig bedröppelt - eine Frau und ein kleiner schwarzer Hund mit knallroten Capes bekleidet im Regen unterwegs sind. Das ist kein normaler Regentag. Es artet so langsam in ein Unwetter aus. Der Wind bläst uns ins Gesicht. Lieber wäre mir, die Naturgewalten kämen von hinten und würden uns ein wenig anschieben.
Um Astorga zu erreichen, muss ich ganz schön kraxeln. Ein steiler Weg führt am Stadtrand hinauf zu einer Herberge. Ich lasse mir hier einen Pilgerstempel geben. Im 3. Jahrhundert war diese Stadt ein bedeutendes Handelszentrum. Im Mittelalter gab es mindestens zwanzig Pilgerhospitäler. Astorga hat heute 12.250 Einwohner und ist Hauptstadt des Bezirks der Maragatería. Bei strömendem Regen überquere ich die Plaza Mayor mit ihrem wunderschönen Rathaus aus dem 17. Jahrhundert. Ich kann mir gut vorstellen, wie traumhaft es hier bei Sonnenschein ist. Dann stehen bestimmt jede Menge Tische und Stühle vor den Cafés, auf denen man es sich bei einem kleinen Snack gemütlich machen und die Atmosphäre dieses Platzes genießen könnte. Bei diesem Regen allerdings muss ich mit dem Innern einer Bar vorlieb nehmen. Da noch fast zehn Kilometer vor mir liegen und es bereits fast 17 Uhr ist, trinke ich nur auf die Schnelle einen wärmenden Café con leche.
Viel zu viele Menschen werfen mir böse Blicke zu, weil Schnurzel sich immer noch nicht freiwillig an der Leine bewegt. Das macht mich fertig. Ich will nicht, dass die so von mir denken. Mein Hund hat es doch immer gut bei mir! Am liebsten würde ich mir eine Tafel mit aufgeklebten Beweisfotos umhängen. Am Ortsausgang von Astorga setze ich mich auf eine Bank und nehme Ruddi auf den Schoß. Wir gucken uns lange tief in die Augen und kommen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Wohl oder übel? Was ist jetzt wohl und was ist übel? Tja, es ist wohl übel, dass er sich das Cape nicht selber ausziehen kann.
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