5 1/2 Wochen
und in Anbetracht dessen, dass es mittlerweile schon nach 19 Uhr ist, eine Ausnahme machen und mich mit Hund nehmen würden. Ich lehne das ab. Ich will die letzten 4,8 Kilometer auch noch bestreiten. Ich lasse mich doch nicht von so einem bisschen Regen abhalten. Das wäre doch gelacht.
Sie flehen mich an, wenigsten mit dem Taxi zu fahren. Die Wirtin hat den Telefonhörer schon in der Hand, um eins aus Astorga kommen zu lassen. Für einen Moment finde ich die Idee sehr verführerisch, mich einfach in ein Auto zu setzen. Aber schon im nächsten wird mir ganz anders. „Also, Leute, bitte!!! Und wenn die Welt untergeht... ich laufe! Da ist nix zu machen. Das lass ich mir nicht nehmen. Meine Füße lassen keinen einzigen Meter bis Santiago aus, komme was da wolle!“ Sie merken, wie ernst mir das ist und fangen so langsam an, das zu akzeptieren. In Frieden lassen sie mich eine knappe halbe Stunde später weiterziehen und verabschieden mich mit einem gut gelaunten: „Ahoi, Seemann!“
Natürlich sind diese letzten Kilometer superanstrengend. Mit Ruddi vor der Brust komme ich nur langsam voran. Am Anfang habe ich mich noch einige Male umgedreht und zum Ort zurückgeschaut. „Soll ich doch hier übernachten? Was mach ich denn da wieder für einen Blödsinn. Muss mal wieder meinen Dickkopf durchsetzen. Das ist so typisch für mich!“ Ich nehme mir vor, nur noch nach vorne zu schauen und mein Ding durchzuziehen. Was soll schon passieren? Noch nasser kann ich nicht werden, absaufen tu ich bestimmt nicht - kann nämlich gut schwimmen und fünf Kilometer sind schließlich auch keine Weltreise. Für irgendwas wird das wieder gut sein. Wir werden sehen. Schnurzel ruht zufrieden an meiner Brust und lässt sich durch die Lande und den Regen schaukeln.
gleicher Tag (insgesamt 532,6 km gelaufen)
Santa Catalina de Somoza (50 Einw.), 997 m üdM, Provinz León
Hotel, Doppelzimmer, 30 Euro ohne Frühstück
Es ist schon halb neun als ich - zugegebenermaßen der Verzweiflung nah und völlig am Ende - Santa Catalina de Somoza erreiche. Am Ortsrand bleibe ich einen Moment stehen und überlege, ob ich meinen Hund heute schmuggeln soll oder nicht. Das Dörfchen hat 50 Einwohner, also wahrscheinlich auch nur ein einziges Hotel. Da die nächste Übernachtungsmöglichkeit elf Kilometer entfernt ist, bleibt Ruddi wo er ist: Unsichtbar für andere unter meinem Regencape. Nach wenigen Metern entdecke ich auch schon eine Pension, in der es hoffentlich noch freie Betten gibt. Mir fällt gerade auf, dass ich keinen Moment die Notwendigkeit gesehen habe, ein Zimmer reservieren zu müssen.
Das Gebäude ist sehr gepflegt. Die äußeren Fensterbänke vor den kleinen Fenstern sind mit Pflanzenkästen liebevoll dekoriert. Die Fassade ziert wunderschöner Bruchstein. Da es schon dunkel ist und die Räumlichkeiten von einem warmen, anheimelnden Licht erhellt sind, kann ich erkennen, dass das Restaurant proppenvoll ist. Ein gutes Zeichen - aber wenn die auch alle hier schlafen, könnte es eng werden mit der Übernachtung. An der Eingangstür lese ich im Vorbeigehen: No Perro! „Nur keine Panik“, denke ich, schaue nochmal kurz in meinen Poncho, sortiere Ruddi so, als wäre er mir körpereigen und betrete klitschnass, total müde, aber trotzdem freundlich und voller positiver Erwartung das Lokal.
Alle Blicke liegen auf mir. Ich wundere mich ein bisschen, denn so ansehnlich bin ich nach dieser Etappe, die einem Überlebenstraining nahe kam, bestimmt nicht. Aber die Leute sehen mich so gerührt, so mitfühlend und wunderlich an. Was hab ich denn an mir? Ja, ich weiß, es sieht aus, als hätte ich Körbchen-Größe Doppel-G, bin völlig geschafft, patschnass und glänze im Gesicht. Das kann die Herzen meiner Mitmenschen schon erweichen. Ich habe jedoch das Gefühl, noch etwas anderes auszustrahlen. Sie sehen mich an, als hätten sie alle das Bedürfnis mich in den Arm zu nehmen. Hätte nichts dagegen, würde mir heute guttun - kommt nur her! Ich halte einen Moment still!
Es ist so schön warm und gemütlich hier drin. Sofort fühle ich mich sauwohl und kann mir nicht mehr vorstellen, zurück in den Regen zu gehen. Als ich an die Theke herantrete, sehen mich die Wirtsleute ähnlich betroffen an, wie die Gäste. Ich habe das Gefühl, dass man mir unbedingt etwas sagen möchte, es dann aber doch lieber lässt. Hm, komisch! Aber gut - sei’s drum! Ich fackel nicht lange und frage nach einem Zimmer. Der junge Señor sieht mir auf die Brust, anstatt in
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