5 1/2 Wochen
Sturzbäche laufen durch die Regenrinnen, die Gullis schaffen die Wassermassen kaum. Ich kann ihm nicht helfen. Er wird sich auch ohne Regencape nicht gut fühlen, denn er hasst Wasser fast genauso wie Kleidungsstücke.
Trotz Poncho gibt es an mir nicht mehr viel, das noch trocken ist: Ungefähr vom Hals abwärts bis zur Mitte der Oberschenkel - der Rest ist triefendnass. Wir müssen jetzt die A6 über eine sehr steile Brücke überqueren. Mit dem „Gegensturm“, dem Wasser, das mein Gesicht herunterläuft und Ruddi im Schlepptau ist das fast nicht zu schaffen. „Mach ganz kleine Schritte“, sage ich mir immer wieder. Aber auch das wird von uns bewältigt und schon bald dürfen wir genauso steil die Brücke abwärts laufen. Dann führt der Camino ein bisschen hügelig an einer sehr ruhigen Landstraße entlang. Im Sonnenschein wäre das bestimmt ein Genuss.
In dem Moment, wo auch noch Blitz und Donner genau über uns einsetzten, hat Ruddi seine kleine Schnauze gestrichen voll. Er bleibt plötzlich stehen. Wild entschlossen, das erste Mal auf „seinem Jakobsweg“, streikt er und ist unter keinen Umständen mehr bereit, seine Pfoten auch nur einen Millimeter weiter durch die Sturzbäche zu setzen. Von diesem Moment an, müsste ich ihn auf seinem Hintern über den matschigen Boden ziehen. Ich vergieße vor Verzweiflung ein paar Tränchen und hocke mich neben ihn. Ich glaube er weint auch.
Nach einem Blick in seine dunklen, verzweifelten Augen habe ich unglaubliches Mitleid mit dem Häufchen Elend. So geht es nicht weiter! Auch wenn ich selbst am Ende bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn zu tragen. Ich befestige das Notfallnetz unter meinem Poncho vorne am Rucksack und setze ihn hinein. Er macht sich so leicht, wie es eben geht und lässt einen tiefer Seufzer los, den ich trotz des platschenden Regens und tobenden Sturms hören kann. Ist er letztendlich doch der Sieger? Ich glaube, er kann einfach nicht mehr. Das ist zu viel für seine kleine Hundeseele. Durch so ein bedrohliches Unwetter musste er noch nie.
Nach guten drei Kilometern erreichen wir Murías de Rechivaldo. Der Ort hat knappe 100 Einwohner und neben einer Herberge eine Bar. Bevor ich diese betrete schüttele ich soviel Wasser wie eben möglich vom Poncho ab, damit ich drinnen keine Seenplatten hinterlasse. Erleichtert, endlich im Trockenen zu sein, hänge ich mein Cape an den Garderobenständer und schau mich um.
Diese Bar erinnert mich an eine Siebziger-Jahre-Kellerbar in einem Einfamilienhaus. Der Raum ist mit ausrangierten Möbeln ausgestattet - ganz einfach gehalten, aber trotzdem irgendwie gemütlich. Hinter den zwei Metern Theke steht lächelnd eine junge Frau mit einem zufriedenen Baby auf dem Arm. Es gibt hier genau drei Tische. An einem sitzt der Rest der Familie bei einem Kartenspiel und an dem anderen vier Personen, die mich laut lachend begrüßen: „Hast Du dein Boot vor der Tür festgemacht? Hast Du die Paddel gesichert?“ Ich traue meinen Augen kaum, aber sie sind es wirklich: meine vier Klagenfurter. Wir fallen uns in die Arme und ich habe mal wieder das Gefühl, zuhause angekommen zu sein. Unsere Worte überschneiden sich, wir haben uns soviel zu erzählen.
Die Wirtin macht mir einen heißen Tee, den ich dankbar annehme und genüsslich, mit kleinen Schlucken in meinen durchgefrorenen Körper laufen lasse. Erst als ich unbewusst über das Netz vor meiner Brust streichle, fällt ihr auf, dass da ein Hund drin sitzt. Sie ist entzückt, ruft ihre Familie zusammen, damit sie sich das alle mal anschauen. Das haben sie noch nie gesehen. Ruddi presst sein nasses Köpfchen ganz fest an mich. Ich lasse ihn da sitzen, bring es nicht übers Herz, ihn auf den kalten Boden zu legen. Nach ein paar Minuten ist er in einen tiefen Schlaf gefallen. Am liebsten würde ich es ihm nachmachen. Mein Körper wundert sich schon sehr darüber, plötzlich fünf Kilo mehr schleppen zu müssen.
Es dauert ungefähr zehn Minuten bis ich merke, dass mir das Wasser aus den Haaren das Genick und Gesicht herunterläuft. Auch untenrum ist was nicht in Ordnung. Meine Hose klebt an den Beinen und gibt ebenfalls Wasser frei, das sich blöderweise in meine Schuhe verirrt. Schade, denn von außen sind die absolut dicht.
Meine Pilgerfreunde übernachten in der Herberge auf der anderen Straßenseite und sind zu einem kleinen Umtrunk hierhergekommen. Sie wollen mich überreden auch zu bleiben. Sie sind davon überzeugt, dass die Herbergsleute bei dem Wetter
Weitere Kostenlose Bücher