5 1/2 Wochen
gehen wir - na sagen wir mal: munter - weiter. Ich schätze, dass es um die zwei Kilometer sind die wir mittlerweile im Ungewissen über diesen Trampelpfad laufen.
Plötzlich, für mich vollkommen unerwartet, sind wir jedenfalls am 1344 Meter hoch gelegenen Rolandsbrunnen. Und der ist ganz sicher auf dem Jakobsweg. Ich kann es kaum glauben. Zuerst einmal trinken wir Wasser aus der Quelle, dann setzen wir uns auf den Brunnenrand und freuen uns, wie die Kinder an Weihnachten, über jeden Pilger der hier vorbeikommt.
Endlich kann ich Ruddi die blöde Leine abnehmen. Der Sturm ist nämlich in Frankreich geblieben. Wir sind jetzt in Spanien und am Ende mit unserer Kraft. Es ist 13 Uhr und wir haben noch gute zehn Kilometer vor uns. Die Hälfte dieser Strecke führt weiterhin bergauf und danach auf nur fünf Kilometern fast fünfhundert Höhenmeter bergab. Soll ich mich darüber freuen, oder nicht? Lässt der Pilger sich da einfach den Berg runter rollen oder gibt es eine Treppe oder gar einen Lift? Ohne geht das doch gar nicht, oder? Bin gespannt wie das weitergeht. Ich wünschte, ich hätte irgendwas zu essen, die letzten Kilometer waren wirklich Kraft raubend.
Ich konzentriere mich auf drei Pilger, die auf Pferden unterwegs sind. Sie haben einen großen Hund dabei. Der ist zwar lieb, aber durch die matschigen Wege „dreckig wie die Sau“. Er springt fast jeden vor lauter Freude mehrmals an. Wir sind zwar nicht in Abendgarderobe unterwegs, aber bis eben waren wir wenigstens „oben rum“ noch sauber. Die Reiter könnten ihren Hund ja mal zurückpfeifen, aber sie denken nicht daran, schauen noch nicht mal hin. Manche Hundebesitzer sind unmöglich.
Bevor ich mich weiter in diese Begebenheit hineinsteigern kann, stupst Hermann mich an und hält mir ein halbes Baguette mit dicken, fetten Scheiben Fleischwurst drauf, vor die Nase. Er teilt sein einziges Brot mit mir. Ich könnte ihn knutschen. Er hat mich vor dem sicheren Hungertod bewahrt. Das war das leckerste Wurstbrot, das ich in meinem Leben gegessen habe - und da war keine Butter drauf! Danach ging es mir wesentlich besser. Wenn ich mich nicht verlaufen hätte, hätte ich Hermann nicht kennengelernt, keinen Lämmergeier gesehen und das beste Fleischwurst-Baguette aller Zeiten verpasst. Ich sage ja: „Nichts passiert einfach so, für irgendwas ist es immer gut.“ Und mir fällt auf, dass mein insgeheimer Wunsch nach Essen spontan erfüllt wurde. Mein „universeller Topp-Manager“ - manche nennen ihn auch Gott oder Allah oder ganz anders - hat alles prima organisiert. Danke!
Gemeinsam setzen wir unseren Weg fort. Er führt uns durch einen Buchenwald. Hier oben wird der Wald nicht gefegt. Auf dem Weg liegt knöchelhoch Laub, und da der Schnee schmilzt, vereinigt sich das Wasser mit dem Laub und dem Waldboden. Es ist eine schlammige, zähflüssige Pampe, die einem im wahrsten Sinne des Wortes, fast die Schuhe auszieht. Man kann nicht erkennen, ob darunter Wurzeln oder Steine liegen und muss bei jedem Schritt damit rechnen, dass der Fuß nicht so aufsetzt, wie man es erwartet. Da sich am Rolandsbrunnen viele Pilger ausgeruht haben, sind wir jetzt doch so um die zehn, zwölf Leute, die hier zusammen unterwegs sind. Es ist ein wildes Zickzack-Laufen und beim ein oder anderen bleibt tatsächlich der Schuh im Matsch stecken. Die Flüche möchte ich an dieser Stelle nicht wiedergeben. Ruddi versucht verzweifelt zu schweben, er hasst nasse Pfoten und sieht - noch schlimmer als der Hund am Brunnen - auch aus wie „die Sau“. Zu unserer Linken ist der schneebedeckte Hang. Plötzlich bleibt Hermann stehen und zeigt mit einem seiner Wanderstöcke auf etwas, das jemand in den Schnee gemalt hat: Das Bild stellt einen kleinen Hund dar. Darüber steht „Rudi“ geschrieben.
Zweifellos ist mein Hund damit gemeint. Wer hat in dieser Situation bloß an uns beide gedacht? Die Münchnerinnen, die Aachener, die Kanadierinnen? Ich weiß es nicht, aber es tut unendlich gut und gibt mir jede Menge Aufschwung und Power für den weiteren Weg. Ich mag müde und kaputt sein, aber alleine mit Ruddi bin ich weiß Gott nicht auf dem Jakobsweg. Im richtigen Moment passieren die richtigen Dinge oder Begegnungen. Ich bin mächtig beeindruckt.
Auf einem Felsbrocken sitzen zwei junge Männer und eine junge Frau. Sie haben eine Menge Spaß miteinander. Sie blödeln rum, lachen und erzählen sich lebhafte Geschichten. Sie sind extrem entspannt und vermitteln den Eindruck, sich schon sehr
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