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5 1/2 Wochen

5 1/2 Wochen

Titel: 5 1/2 Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Kürten
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so laut, dass das Motorengeräusch nicht zu hören ist. Radpilger steigen vom Rad, weil sie den enormen Anstieg in Kombination mit dem Sturm auch mit dem besten Mountainbike nicht schaffen können.
    Nach vier oder fünf gewanderten Kilometern erblicke ich zu meiner Rechten eine riesige Wiese, auf der so um die 20 Pilger picknicken. Allein oder in Mini-Grüppchen sitzen sie da und trotzen dem aufmüpfigen Wind. Einige winken mir zu, ich solle zu ihnen kommen, auch die Münchnerinnen. Ich winke fröhlich zurück, rufe ihnen ein „buen camino“ zu und gehe weiter. Ich möchte jetzt keine Pause machen. Ich will endlich über den Berg und mal abwärts gehen.
    Ungefähr 50 Meter voraus geht ein Mann, der mir vor einer halben Stunde das erste Mal aufgefallen ist, als er in einer windgeschützten Felsspalte eine Rast eingelegt hatte. Er geht zwar schneller als ich, aber er muss alle paar Meter stehenbleiben und - sich weit nach vorne gebeugt auf seine Stöcke stützend - nach Luft schnappen. Hoffentlich schafft der den Aufstieg unbeschadet.
    Die nächsten zwei, drei Kilometer laufen wir immer im gleichen Abstand. Es ist nicht mehr ganz so steil. Das Gehen ist jetzt entspannter. Ich sehe wie der Mann vor mir einem Weg folgt, der eine Richtung aufweist, die nicht zum Camino passt. An der Kreuzung, an der er links abgebogen ist, gehe ich deshalb geradeaus. Nach 100 Metern stehe ich am Abgrund und könnte zwar rechts abbiegen, aber da ist kein rotweißer oder gelber Camino-Hinweis. Der schreckliche Gedanke, dass ich mich verlaufen haben könnte, steigt in mir hoch. Ich gehe zurück zu der Kreuzung und jetzt kommt mir der Mann, dem ich so brav hinterher gelaufen bin, entgegen und sagt: „Ich glaube, wir haben ein Problem.“ Ich antworte: „Wir müssen zurück. Das ist nicht mehr der Camino.“ So langsam dämmert es mir: vorhin auf der Wiese haben die Leute nicht einfach nur gewunken, sondern wollten mich auf den richtigen Weg lenken. Die haben sich bestimmt die Seele aus dem Leib gebrüllt, aber durch den Sturm konnte ich sie nicht hören. Tja, dumm gelaufen! Aber: „Für irgendwas ist das gut“, lautet stets mein Motto.
    Wir sehen uns ratlos an, wälzen unsere Reiseführer und die Karte aus dem Pilgerbüro und fragen zwei Spaziergänger nach dem Weg zum „Rolandsbrunnen“. Hier oben auf dem Bergkamm verläuft die Grenze nach Spanien. Sie zeigen auf einen Weg, der nicht wirklich einer ist. Es ist ein schmaler Trampelpfad, der durch die Schneeschmelze und das nasse Gras überaus matschig und rutschig ist. Und das bei dem orkanartigen Sturm. Na, herzlichen Glückwunsch! Wir sollen den Wanderern hinterher gehen, die in der Ferne so gerade noch zu sehen sind. Das ist uns eine Überlegung wert: Entweder zwei oder drei Kilometer zurücklaufen - wer weiß, an welcher Stelle wir uns verlaufen haben - oder den Leuten hinterher, die auch Bauern sein könnten, die ihre Felder begutachten.
    Mein „persönlicher Bergführer“ heißt Hermann und ist wild entschlossen, den Trampelpfad zu nehmen. Auch auf die Gefahr hin, dass er dann noch weiter zurück müsste, wenn es da oben nicht weitergehen sollte. Ich schließe mich ihm an, allerdings ohne feste Überzeugung, ob das die richtige Entscheidung ist. Gesagt, getan. Der Weg ist die reinste Katastrophe, aber wir kämpfen uns tapfer durch den glitschigen Matsch und den Sturm. Ab und zu ist auch der Pfad nicht mehr zu erkennen. Ich versuche, die Angst vor einem Sturz zu unterdrücken. Es wäre ein Drama, wegen einer Verletzung nicht weiterlaufen zu können. Santiago wartet doch auf mich. Meine Zweifel werden immer größer. Soll ich doch noch zurückgehen? Meine Gedanken und Gefühle kommen bei Hermann an. Er bittet mich, ihm zu vertrauen. Ich solle immer in seinen Fußstapfen bleiben, dann könne nichts passieren.
    Ganz oben angekommen, kreist ein Lämmergeier in Augenhöhe mit uns über eine leicht schneebedeckte Wiese. So einen großen Vogel habe ich noch nie gesehen und denke mit Schrecken an den „Adler-Landeplatz“. Die beiden Wanderer vor uns haben wir vor einer Weile in der Bergwelt aus den Augen verloren. Jetzt können wir sie wieder erblicken. Sie machen gerade eine Pause und als wir sie erreichen, fragen sie uns nach dem Weg nach Roncesvalles. Na prima! Ein Pilger läuft dem anderen hinterher und der an der Spitze nimmt den falschen Weg. Der Mensch ist wirklich ein Herdentier. Da der Weg aber langsam besser wird und die ganze Zeit an der spanischen Grenze entlang führt,

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