5 1/2 Wochen
Kopf ich streicheln kann, ohne mich auch nur einen Zentimeter bücken zu müssen. Ruddi springt andauernd an ihm hoch, um eine standesgemäße hündische Begegnung hinzukriegen. Der große lässt sich das souverän gefallen und entscheidet sich nach der üblichen Zeremonie dafür, meinem Schnurzel das Dorf aus Hundesicht zu zeigen. Ich lass ihn ziehen.
Der sympathische Nachbar zeigt mir unterdessen stolz seine fünf Kühe, die müde im Stall stehen. Schon wieder finde ich mich unter Rindern wieder und diesmal laufe ich nicht Gefahr, dass sie auf mich drauf fallen oder mich umrennen. Ich kann sie gefahrlos streicheln und wir genießen es. Die Kühe nicht weniger als ich. Ich kenne jetzt das ganze Dorf inklusive seiner tierischen Bewohner. Als wir uns von dem Bauer verabschieden legt Gordon voller Stolz seinen Arm um meine Schultern und erntet einen anerkennenden Blick von ihm. Ich lass ihm die Freude.
Einen weiteren Schnaps oder Wein lehne ich ab. Ich will jetzt sofort ins Bett. Der Schlaf droht mich plötzlich im Stehen zu überwältigen. „Buenas noches, Gordon!“ Ich bin gerade dabei meine Schuhe auszuziehen, als er in „mein“ Zimmer kommt, mich ohne Vorwarnung und für meinen Geschmack viel zu intensiv, umarmt. Ich stoße ihn entrüstet mit aller Kraft zurück und zeige mit dem Zeigefinger in Richtung Tür: „Geh sofort raus! Gute Nacht!“ Hätte er auch nur einen Moment gezögert, wäre ich durch die dunkle Nacht nach Portomarín gelaufen. Ich finde es ein bisschen schade, dass der Abend so zu Ende geht.
Ich höre keinen Mucks mehr von meinem Verehrer. Vollständig angezogen, ungeduscht und jederzeit fluchtbereit lege ich mich ins Bett. Es dauert eine Weile bis ich mich wieder beruhigt habe. An Einschlafen ist erst mal nicht zu denken. Ich versuche mich in seine Lage zu versetzen und finde auch prompt eine Entschuldigung für ihn. Er hat sich den ganzen Abend rührend um mich gekümmert. Wir hatten wohl beide so viel Spaß wie lange nicht mehr. Er hatte in dieser Ruine wahrscheinlich noch nie Übernachtungsbesuch, ist ein wenig übers Ziel hinausgeschossen und hat blöderweise ungeschickt sein Interesse an mir bekundet. „Mann“ kann es ja mal versuchen! Als ich ihn aber barsch zurückgewiesen habe, hat er sich auch sofort wieder im Griff gehabt. Wie ich ihn einschätze, bereut er sein Verhalten längst. Ich will ihm das verzeihen.
Das Krafttier Pferd hat mir heute Morgen schon gesagt, dass ich neuen Situationen begegnen werde, die mich wachsen und reifen lassen. Ja, so ist es wohl! Klare Grenzen abstecken, daran wächst man immer.
Irgendwas ist mit meinem rechten kleinen Zeh nicht in Ordnung. Das drückt und tut ziemlich weh. Hab ich da etwa eine Blase? Tatsächlich! Mir wird ganz heiß vor Erstaunen. Das Pferd hat mir heute Vormittag in Form von Gedanken mitgeteilt: „Achte auf Deine Füße!“ Bis ins Detail hat es mir sogar gezeigt und „gesagt“, welcher Zeh an welchem Fuß besonders anfällig ist. Ich habe mal wieder ein Fazit des Tages: Alles - Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine, Himmel und Erde - ist EINS. Alles kommuniziert miteinander. Wir Menschen haben nur verlernt, hinzuhören.
Samstag, 17. Mai 2008
Vilachá (ca. 20 Einwohner), ca. 500 m üdM, Provinz Lugo
33. Etappe bis Palas de Rei, 27,4 km
Tiefer, fester, erholsamer Schlaf wäre schön gewesen. Dauernd bin ich wachgeworden, konnte es kaum erwarten, dass die Nacht endlich vorbei geht. Vier Etappen liegen noch vor mir. Dann bin ich in Santiago de Compostela. Ich weiß gar nicht, ob ich das gut oder schlecht finde. Einerseits habe ich oft Heimweh nach meinen Eltern und Kindern, andererseits habe ich mich an das Wanderleben gewöhnt. Ich genieße es sehr im Hier und Jetzt zu sein. Ein Wanderer kann keine Termine machen. Er weiß nie, was ihm auf seinem Weg begegnet - ob er schnell oder langsam vorankommt. Alles passiert einfach. Und dieses ALLES ist Überraschung pur und verlangt ausschließlich Hingabe, sonst nichts.
Um 7.15 Uhr traue ich mich aufzustehen. Seit ungefähr einer Stunde versuche ich zwischen Dösen und Wachen irgendwelche Geräusche wahrzunehmen, die darauf hindeuten, dass Gordon auf den Beinen ist. Ich muss ja durch sein Zimmer und es wäre mir sehr unangenehm, wenn ich ihn im Bett erwischen würde.
Nach einer Katzenwäsche komme ich weniger gestriegelt, aber gespornt in die Küche und traue meinen Augen nicht. Gordon muss die ganze Nacht hindurch unter Volldampf geputzt haben. Alles blitzt und blinkt. Nichts
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