5 1/2 Wochen
das Herz auf, angesichts des Vertrauens das ich ihnen allen entgegenbringe. Auf mein mittlerweile nicht mehr zu unterdrückendes Bedürfnis und Verlangen nach einer Toilette wird mir das Bad gezeigt, das genau so schief ist wie der Rest des Hauses. Gordon hat blitzschnell ein „frisches“ Handtuch parat und bietet mir sofort an, die Dusche zu benutzen. Ich soll mich einfach wie zu Hause fühlen.
Gordons große Küche ist ein Museumsstück. Sie stammt so ungefähr aus dem Jahr 1890. Schade nur, dass hier ein Junggeselle haust. Alles steht voll mit Geschirr und Krempel. Der große lange Tisch hat schwer an Sachen zu tragen, die ich nicht aufzählen kann und will. Bei einem Tee werde ich gewahr, dass Gordon halbjährlich zwischen Südafrika und Vilachá pendelt. Er war vor seiner Pensionierung Teilhaber einer Porzellanfabrik, hat vier Kinder und ist stolzer Opa von zwei Enkelkindern. Nebenbei erwähnt er, dass er ein Buch über den Camino Francés geschrieben. Gut gelaunt und temperamentvoll zeigt er mir Fotos zu allen Themen, die wir anschneiden. Ich merke ihm deutlich an, dass er selten Gesellschaft hat und meine gerade voll auskostet. Das Buch, das er geschrieben hat, holt er aber nicht freiwillig raus. Ich bitte ihn darum, einen Blick hineinwerfen zu dürfen. Sofort springt er auf und ist begeistert über mein Interesse an seiner Arbeit. Ich bin tief beeindruckt. Noch nie habe ich persönlich jemanden kennengelernt, der ein Buch geschrieben hat. Ich möchte es ihm unbedingt abkaufen, aber dieses Exemplar ist leider das letzte, das es noch gibt. Er ist jedoch gerade dabei, sein zweites Buch über den Camino zu schreiben. Ach, darum liegen oben so viele Bücher und Papier rum! Diesmal will er den Schwerpunkt auf die persönlichen Erlebnisse legen, weniger auf kulturelle Informationen, Kilometerangaben, Wegbeschaffenheit und Herbergs-Beurteilungen. Genau in diesem Moment entsteht in mir die ernsthafte Idee, auch meine Erlebnisse niederzuschreiben.
Diesen Hof hier in Vilachá, der 20 Jahre lang leer gestanden hat, will er zu einer schmucken Pilger-Herberge herausputzen. Das ist eine Lebensaufgabe. Das ganze Gemäuer muss zuerst einmal von Grund auf restauriert und saniert werden. Danach kann er dann mal an den Innenausbau und die Einrichtung denken. Die meiste Zeit arbeitet er alleine daran und kommt folglich nur langsam voran.
Damit ich nicht verhungere, kocht er mir persönlich Spaghetti mit Hackfleisch-Bohnen-Soße. Während er am Herd steht, mache ich unter seinem wilden Protest als Gegenleistung für seine unglaubliche Gastfreundschaft den längst fälligen Junggesellen-Abwasch. Wer viel arbeitet, darf zwischendurch auch mal einen Schnaps trinken. Wir haben eine Menge Spaß, albern rum. Einen Lachanfall vom allerfeinsten bekomme ich, als er einige Spaghetti aus dem kochenden Wasser fischt und an die gegenüberliegende Wand schmeißt. Das ist seine Art zu testen, ob die Nudeln gar sind. „Wenn sie kleben bleiben, sind sie perfekt!“ Er meint, das wüsste jede Hausfrau. Also, ich bin Nudelfreak, habe aber im Leben noch keine an die Wand geworfen. Oh Mann, wo bin ich hier nur gelandet? Bei einem Südafrikaner, der in Galicien aus einer Ruine eine Herberge macht, Spaghetti an die Wand wirft und fremde Frauen mit Hund im Schlepptau bei sich übernachten lässt.
Nachdem ich einen dritten Schnaps ablehne, gibt es zum Essen Rotwein. Ich muss sagen, wider Erwarten schmeckt es mir hervorragend und ich bekomme noch einen Nachschlag. Wir sitzen in seiner großen Küche wie alte Freunde, die sich seit zehn Jahren nicht gesehen haben. Die beiden Nachbarinnen kommen auch noch mal kurz vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Sie erheben wie abgesprochen gleichzeitig ihre Zeigefinger, ich vernehme ein mahnendes „GORDON!“ als sie uns so albern vorfinden und nehmen kopfschüttelnd die Rotweinflasche aus unserer Reichweite. Einen Moment lang fühlen wir uns, wie von den Eltern erwischte Teenager.
Es ist schon fast dunkel. Gordon will mir aber unbedingt noch das „ganze“ Dorf zeigen. Find ich gut, wann bekomme ich das wohl auf dem Jakobsweg nochmal geboten? Der Schnaps und Wein haben meine Füße geheilt. Ich kann wieder laufen! Naja, weit ist es ja nicht. Vilachá ist winzig klein. Einer der drei Nachbarn steht vor seinem Kuhstall und ist mehr als erstaunt, als er Gordon mit einer wildfremden Frau entdeckt. Enthusiastisch verfällt Gordon ins Spanische. Ich beschäftige mich derweil mit dem freundlichen Hofhund, dessen
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