5 1/2 Wochen
leche“ - das ist übrigens köstlicher Milchkaffee - und wir lachen uns darüber kaputt, wie abgerissen wir beide aussehen. Ruddi bewegt sich unruhig in seiner Tasche und ich beschließe, trotz des Gerüchts „die Spanier mögen keine Hunde und lassen sie nirgendwo rein“, ihn einfach mal zu zeigen. Ich kann und will ihn nicht fast sechs Wochen lang verstecken. Vielleicht sind die Spanier gar nicht so zu den Hunden, wie man immer wieder hört. Hermann ist der gleichen Meinung wie ich. Wer kann diesem Kleinen schon widerstehen?
Obwohl er schon acht Jahre alt ist, sieht er auf den ersten Blick immer noch wie ein Welpe aus und so wird er gewöhnlich auch empfangen. Es dauert eine Weile, bis die Frauen und der Wirt ihn überhaupt wahrnehmen. Die Spannung steigt. Sie erschrecken sich, die ein oder andere will im ersten Moment vom Stuhl aufspringen, vor dem Fünf-Kilo-Kampfhund flüchten. Dann kommen sie zu sich und sind geschlossen der Meinung: „Qué bonito (wie süß!).“ Er hat durch seinen Hunde-Charme mal wieder gewonnen.
Viel zu lange bleiben wir in dieser gemütlichen Bar und trinken einige Cafés con leche. Die Hoffnung, dass es aufhört zu regnen, müssen wir aufgeben. Also powern wir uns gegenseitig und setzen uns in Bewegung. Hermann ist der Meinung, dass wir geradeaus Weitergehen müssen, mein Orientierungssinn schlüge lieber den Weg nach links in den Ortskern ein. Mein Begleiter ist sich jedoch hundertprozentig sicher, dass er recht hat und ich folge ihm — entscheide mich also gegen mein Bauchgefühl. Wir hetzen eine viel befahrene, schnurgerade Landstraße hinunter und wieder hinauf. Ich habe Angst, von einem LKW oder Bus gestreift zu werden. Die fahren hier mit Sicherheit schneller, als die Polizei erlaubt. Als wir in einer Einmündung kurz stehen bleiben, entdecken wir auf der anderen Straßenseite einen Trampelpfad. Wir klettern über die Leitplanke und können nun gefahrlos in angemessenem Tempo unseren Weg fortsetzen.
Nach annähernd zwei Kilometern können wir immer noch keinen gelben Pfeil entdecken, der uns die Sicherheit geben würde, auf dem offiziellen Camino unterwegs zu sein. Ich glaube ja schon deshalb nicht daran, weil ich bereits die zweite Parkbank gesehen habe. Bänke hat es bis jetzt nicht auf dem Camino gegeben. Pilger sollen laufen, wenn sie sitzen wollen, muss ein dicker Stein oder Ähnliches reichen. Ein Brunnenrand wird auch sehr gerne genommen. Hermann wird jetzt ebenfalls so langsam unruhig: „Bleib hier mal stehen. Ich laufe ein Stückchen weiter und guck mal wo die Straße hinführt.“ „Oh, nein! Bitte nicht schon wieder!“ denke ich. Er kommt mit schlechten Nachrichten zurück: „Hier geht es nach Frankreich.“ „Wie Frankreich? Da kommen wir doch her!“ Meine innere Stimme lacht sich kaputt: „Hab ich Dir doch gesagt.“ Feierlich und gleichsam resolut erkläre ich: „Mein Orientierungssinn ist besser als Deiner, also verlasse ich mich von jetzt an auch auf ihn - ob Du dann mitgehst, ist natürlich Deine Entscheidung.“ Es hört auf zu regnen, Ruddi darf und will nun endlich mal selber laufen, nicht zuletzt deshalb, weil es in der Tasche ein bisschen nass geworden ist. Wir setzen unseren Weg einträchtig fort. Durch unsere Unachtsamkeit kommen wir heute auf knappe 27 Kilometer. Ich sage nur: „Gelbe Pfeile suchen und alles ist gut.“
Nach einer halben Stunde schüttet es wieder. Ruddi hüpft erneut liebend gerne in seine schützende Behausung auf dem Rücken meines Weggefährten, trotz der feuchten Wände. Dann wird’s richtig spannend. Der Camino fordert uns wieder heraus. Nach einem aufsteigenden Weg, geht es im Wald durch „ausgetrocknete“ Bachläufe fast senkrecht wieder runter, dann rauf, nochmal runter... und das scheint vorerst kein Ende zu nehmen. Auch diese Etappe wäre ohne Wanderstöcke nicht durchführbar. Wenn man hier ausrutscht, sieht man garantiert „alt“ aus.
Mein ganzer Körper schmerzt. Jeder Schritt erfordert die volle Konzentration. Wir kommen nur Meter für Meter voran. „Nicht denken, weitermachen“, meldet sich meine innere Stimme wieder, „das haben andere vor Dir auch geschafft. Halte die Steine im Auge und prüfe, ob sie festliegen, bevor Du drauf trittst.“ Wenn man sich hier umschauen möchte, muss man stehen bleiben, damit man nicht stürzt. Wir unterhalten uns nicht mehr. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt.
Irgendwie gleicht dieser Weg meinem momentanen Leben zu Hause: Ich weiß nicht so recht, wie ich es
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