5 1/2 Wochen
darf wissen, dass Du in der Tasche sitzt. Du musst ganz leise sein solange wir an der Rezeption oder im Aufzug stehen, auch wenn Dir jemand zu nah kommt oder uns anspricht. Wenn die Dich bemerken, fliegen wir raus und müssen auf der Straße schlafen. Ich weiß, dass Du das schaffst. Ich bin stolz auf Dich.“
Im Hotel laufen einige vornehme Herrschaften durch das Foyer, die uns schon ohne Hund ein bisschen von oben herab ansehen. Mich wundert es nicht, so verdreckt wie wir daher kommen. Dieses Haus liegt nicht direkt auf dem Camino Francés. Man ist hier nicht unbedingt an Pilger gewöhnt. Neunzig Prozent der Peregrinos schlafen in der Herberge, höchstens mal in einer Pension, aber doch nicht in einem vornehmen Hotel! Wir finden: Das haben wir uns hart erarbeitet. Es ist übrigens keine Frage, dass wir uns das Zimmer und die Kosten wieder teilen.
Ich kann erst wieder richtig Luftholen, als ich Ruddi unentdeckt ins Zimmer gebracht habe. Mein Hund ist aber auch der allerbeste, einfach spitze. Der weiß genau, wann er die „Schnauze“ halten muss. Mir war immer schon klar, dass Familientiere jedes Wort verstehen.
Das riesige Zimmer hat zwei übergroße Betten, die, wie ich es gestern Abend auch in Zubiri schon erlebt habe, meinen Namen rufen. Ich lege mich auf das erste und mach mich mal ganz lang. Das tut unglaublich gut. Hermann fackelt nicht lange, geht duschen und verabschiedet sich danach, genauso zügig wie gestern, für eine Stunde: „Dann kannst Du ganz in Ruhe, alles machen, was Frauen nach so einer Wanderung zu erledigen haben. Ich störe Dich nicht. Der Schlüssel bleibt hier. Wenn Du willst, findest Du mich in der Hotelbar. Gehen wir nachher noch zusammen essen?“ Voller Vorfreude stimme ich zu und danke ihm für seine unglaubliche Rücksichtnahme. Ich wasche meine Wäsche, dusche und verwöhne meine geplagten Füße mit einer ausgedehnten Massage. Das tut so gut, dass ich gar nicht mehr damit aufhören kann. Ruddi liegt die ganze Zeit völlig entspannt auf der Kuscheldecke und will nur noch seine Ruhe haben.
Nach gut eineinhalb Stunden treffe ich Hermann in der Hotelbar bei einem Rotwein an. Ich helfe ihm bereitwillig, die Flasche zu leeren. Heiter machen wir uns, mit einer Körperhaltung wie sie nur Pilger hinbekommen, auf den Weg zu der Bar in der Stadt, die wir vor ein paar Stunden erst verlassen haben. Mein treuer Begleiter will mich zum Tapas-Essen einladen. Die Bar ist nun, am späteren Abend, hoffnungslos überfüllt. Ich möchte lieber in ein ruhigeres Restaurant gehen. Hermann nicht. Er hat sich fest vorgenommen, Tapas zu essen. Ich will nicht alleine los und so stürzen wir uns ins Getümmel und den spanischen Lärm. Ich finde die richtige Einstellung zu diesem Schauspiel und lasse dem Abend seinen Lauf.
Hermann kämpft sich zur Theke durch und kommt nach einer geraumen Weile mit den ersten kleinen Häppchen, die man Tapas nennt, und Rotwein zurück. Kleine grobe Würstchen in Blätterteig liegen auf einem Tellerchen lauwarm vor mir. Die sind superlecker und ich wünsche mir mehr davon. Ruddi übrigens auch. Der liegt in seiner Tasche auf dem Stuhl neben mir - auf dem Boden ist er nicht sicher vor Fußtritten.
Hermann lässt sich nicht lumpen und bahnt sich wieder den Weg an die Bar. Er bringt Nachschub, aber andere Kleinigkeiten. Ich bin enttäuscht. Er kann das natürlich nicht nachvollziehen. Die meisten Menschen probieren ja alles bevor sie sagen: „Das esse ich nicht.“ Ich bin da aber anders.
Mein Gegenüber fängt eine Diskussion an: „Du verpasst doch was, wenn Du nicht probierst. Sei doch nicht so dumm!“ Ich antworte entschlossen: „Ich verpass nur dann was, wenn ich keine Blätterteig- Würstchen mehr bekomme. Ich esse längst nicht alles und Du wirst das nicht ändern.“ „Komm schon, das meinst Du nicht ernst. Ich bin enttäuscht von Dir.“ bettelt er. „Lass es einfach!“ bitte ich ihn entschlossen. „Iss Du alles was Du finden kannst, aber versuch nicht, mir irgendwas aufzudrängen. Verdirb uns nicht den Abend.“ Hermann gibt nicht auf. Er wird autoritär: „Du kannst doch nicht nur diese Würstchen essen, das ist doch langweilig und davon kannst Du doch nicht satt werden! Wenn ich das gewusst hätte, wären wir zum Italiener gegangen.“ Ich bin wirklich traurig darüber, dass ich mich hier rechtfertigen muss. Ich tue ihm den Gefallen und probiere ein Stück Zwiebelkuchen oder Zwiebelrührei. Ich weiß nicht was es ist - und genau das ist das Problem. Wenn
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