5 1/2 Wochen
mach jetzt! Du bist drin! Ich hab‘s doch!“ Er versucht mit Gewalt, meinen Kopf durch die Ärmelöffnung des Ponchos zu drücken. Wieder brüllt er, mittlerweile ebenfalls lachend: „Hier!“ er klopft mir auf dem Kopf rum. „Komm doch hier durch! Was machst Du denn? Ich sehe Dich doch!“ Ich krümme mich vor Lachen und bin nicht in der Lage auch nur ein Wort zu sagen. Hoffentlich sieht uns niemand. Irgendwann hat dieser Spuk ein Ende und mein Poncho sitzt endlich, wie es sich gehört.
Ich will nun Ruddi in das Notfallnetz nehmen, aber er ist nirgends zu sehen. Hermann hat aus dem Augenwinkel mitbekommen, wie er sich ins Gebüsch gerettet hat, als das Schauspiel losging. Ich konnte ja nichts sehen, ich war ja in meinem Poncho-Zelt. Der Hagel pickt auf der Haut und nur mit Engelszungen kann ich meinen Hund aus seinem Versteck locken. Ich verstehe ihn ja, aber unter meinem Cape ist er doch ganz sicher! Ich kann gar nicht aufhören zu lachen, weil ich diese Situation - wie ich es oft mache - mal wieder wie ein Theaterstück über die eigene Schulter beobachte. Das Wetter beruhigt sich in dem Moment wieder als alles gerichtet ist und Matsch-Ruddi glücklich an meiner Brust ruht. Na, da lohnt sich heute Abend die Handwäsche aber! „Ich glaub, ich hab mir das Shirt versaut.“
Ich lasse meinen Kleinen erst mal den Schock überwinden und trage ihn ein bisschen. Jetzt laufen wir ein gutes Stück die Nationalstraße entlang. Hier werde ich besonders schnell. Hermann wundert sich nicht weniger über mein Tempo als ich selbst. Ich habe echt Respekt vor den vorbeirasenden Autos und LKW. Ich muss hier weg! Dann erreichen wir, kurz vor dem nächsten heftigen Hagelschauer, einen Rastplatz. Eben war es schon stürmisch, aber jetzt haben wir einen Orkan der mich fast aus den Wanderschuhen bläst. Wir haben Glück! Auf dem Rastplatz ist eine Bushaltestelle mit Überdachung. Hier finden wir zumindest ein bisschen Schutz vor den Naturgewalten. Der Hagel verteilt sich gnadenlos überall. Immer mehr Pilger wollen sich unterstellen. Wo kommen die bloß so plötzlich her? Auf dem Weg haben wir jedenfalls keinen getroffen. Unglaublich! Und ich weiß jetzt warum ich eben so rasant unterwegs war.
Wir können schon sehen, wo es gleich weitergeht. Ich staune nicht schlecht. Es geht immer noch steiler. „Da komm ich nie rauf‘, denke ich und werde sehr andächtig. Als es nur noch regnet - der Sturm und Hagel weiter gezogen sind - gehen wir ehrfurchtsvoll diese Steigung an. Schritt für Schritt kommen wir Meter für Meter höher. Hermann muss immer noch alle 50 Meter stehen bleiben und auf seine Stöcke gestützt nach Luft schnappen. Er hat früher mal 50 bis 60 Zigaretten am Tag geraucht. Das rächt sich jetzt. Seit sechs Jahren ist er Nichtraucher, aber das Bergauf-Laufen fällt ihm richtig schwer. Wir wundern uns darüber, dass Teilstücke des Wegs mit rot-weißem Band abgesperrt sind. Bei genauem Hinsehen, erkennen wir den Grund dafür: Der Verlauf des Pfades wurde verlegt, weil auch hier die Gefahr besteht, dass der Hang wegrutscht.
Vor lauter Anspannung vergesse ich, dass ich den steilen Hang eigentlich nicht hochkomme. Und es geht doch! Was man alles kann, wenn man es einfach macht, ohne darüber nachzudenken, beeindruckt mich. Ich dachte mein Leben lang, ich könnte zwar bergab gehen, aber nicht bergauf. Tja, nun wurde ich eines Besseren belehrt und bin stolz auf mich. Der unvermeidbare Abstieg ist etwas leichter und führt über recht gute Wege, die sogar teilweise geteert sind.
Jede Stadt, auf die die vielen Hügel unterwegs die Sicht freigeben, lässt in uns die Hoffnung aufkeimen, dass es endlich Pamplona sein muss. Da wollen wir ja heute hin, nicht zuletzt weil dort Hermanns Rucksack wartet. Zwei oder drei Mal lassen wir uns blenden. Es ist ein hilfloses Gefühl, wenn man einer Stadt die man erblickt hat, immer näher kommt, daran glaubt, dass da das Ende der Etappe naht und dann die gelben Camino-Pfeile einen nur außen herumführen. Dann sieht man sie aus den Augenwinkeln, man läuft daran vorbei, und schon ist sie hinter einem Hügel wieder verschwunden.
Aber jetzt!!! Endlich! Jetzt führt der asphaltierte Weg direkt auf den Ort zu. Ich sehe auch schon die Wegweiser. „Da ist Pamplona! Endlich, wir sind in Pamplona!“ rufe ich freudig erregt in den Wald hinein. Wir holen tief Luft und setzen beschwingt unseren Weg fort. Wir freuen uns auf ein Essen, auf einen Rotwein oder ein Bier und auf ein schönes Zimmer mit
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