5 1/2 Wochen
mich doch nicht zum Clown! Ich lasse lieber wie ein Zauberkünstler, der ein Häschen aus seinem Zylinder springen lässt, meinen Hund aus der Tasche hüpfen. Bestimmt applaudieren Hermann und die anderen Gäste hinter der Fensterscheibe des Frühstücksraumes. Ich verneige mich aber besser nicht, falls ich mir das nur einbilden sollte.
Glücklich und schwanzwedelnd läuft Ruddi ausgelassen über das Feld. Er ist voller Tatendrang, beschnuppert alles hoch interessiert, liest also erst mal die örtliche Hunde-Tageszeitung. Ich genieße wie immer diesen Anblick und denke, dass er es nicht verdient hat, selbst morgens noch als Schmuggelware zu gelten. Dieser kleine Hund läuft den ganzen Tag so tapfer und frohgemut den Jakobsweg - ein nervöses Frauchen braucht er als allerletztes. Mir ist seit Jahren klar, dass Gedanken Energie sind, dass das was ich denke, zu mir kommt. Ich rufe mich also zur Ordnung, beobachte ihn noch ein bisschen bei seinem fröhlichen Treiben und nach zehn Minuten finde auch ich wieder die richtige Einstellung zur Mission „Camino mit Hund“.
Was soll schon passieren, wenn das Hotel-Personal ihn jetzt entdeckt? Verhaften oder erschießen werden sie mich sicher nicht. Frühstücken könnten wir im „Ernstfall“ auch woanders. Von jetzt an soll es mir schnuppe sein. Ich muss zwar das No-perro-Schild (keine Hunde) „akzeptieren“ und ihn in die Tasche stecken, aber das soll auch genügen. Erst vor dem Eingang des Hotels lasse ich Ruddi wieder einsteigen, egal ob das hier jemand mitkriegt oder nicht. Mit einer lässigen inneren Einstellung betrete ich das Foyer. Die Empfangsdame guckt mich fragend an und ich antworte mit einem breiten Lächeln und sehr selbstbewusst, ohne die Frage abzuwarten: „Buenos días. Qué buen tiempo hace hoy. (Was haben wir heute für ein schönes Wetter). Yo war kurz draußen y freue mich jetzt auf el desayuno (das Frühstück). Da vorne rechts ist doch richtig, oder?“ Sie überlegt kurz wie sie reagieren soll - bejaht meine Frage - schaut mich immer noch an - lächelt jetzt aber auch. Und das war’s auch schon. Na also funktioniert doch! Was ich denke, ziehe ich an. Ich stelle Ruddi auf dem Stuhl neben mir ab und strahle mit Sicherheit aus, dass das alles so gebucht ist. Keiner sagt was. Und dadurch, dass ich innere Ruhe habe, liegt mein Hund ebenfalls sehr gelassen in seinem kleinen Häuschen. Jetzt kann ich mit Appetit das Frühstück genießen.
Hermann und ich laufen auch heute wieder zusammen weiter. Der Weg führt uns fast fünf Kilometer weit durch mehrere Vorstädte nach Pamplona. Diese Stadt hat über 180.000 Einwohner - Villava nur 9.500. Wie konnte ich gestern denken, dass wir in Pamplona sind, als wir Villava erreichten? Ich kann es mir nur so erklären: Seit Saint Jean Pied de Port sind wir nur durch sehr kleine Dörfchen gekommen. Zubiri war der größte Ort mit 402 Einwohnern. Kein Wunder, dass Villava mir vorkam, wie eine Großstadt.
Pamplona selbst ist sehr schön und gemütlich in der Bauweise, aber es ist eben eine große Stadt. Hier ist meiner Meinung nach viel zu viel Lärm: Autoverkehr, Busse auf mehrspurigen Straßen, Radfahrer, Ampeln, viele Menschen, die in Eile sind, große Gruppen ausgelassener Kindergarten- und Schulkinder, die heute anscheinend ein Fest feiern. Sie haben alle selbst gebastelte Masken oder bunt bemalte Schilder dabei. Sogar die Sonne wirft ab und zu mal ein Auge auf uns. Eigentlich ein friedvoller, lebendiger Anblick. Aber wenn man aus der Abgeschiedenheit kommend auf das pralle Leben einer Stadt trifft haut es einen erst mal um. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich auch im „normalen“ Leben die Dörfer den Städten vorziehe.
Wir finden auf Anhieb die Herberge in der Hermanns Rucksack seit gestern schon auf ihn wartet. Dann der Schreck: Die Tür ist verschlossen! Erst in einer halben Stunde wird wieder geöffnet. So ein Mist! Jetzt müssen wir hier rumsitzen, statt weiter unseren Weg zu gehen. Es ist doch schon Mittag. Ich lege mein Gepäck ab und entsorge den Müll aus meinen Taschen in die bereit stehenden Container. Ruddi wird mit Wasser und Leckerchen belohnt und ich biete ihm seine Decke an, falls er sich ausruhen möchte. Wir lassen uns auf einer Bank vor der Herberge nieder - machen eben das Beste aus dieser Situation. Seit eineinhalb Stunden sind wir unterwegs und erst fünf Kilometer gelaufen. Bis Uterga, unserem heutigen Etappenziel, sind es noch ungefähr 17 Kilometer. Wann sollen wir denn da
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