5 1/2 Wochen
Nachricht im Schnee, gibt mir auch diese unglaublichen Auftrieb.
Ich glaube ja nicht an Zufälle, das macht die Situation noch aufregender für mich: „Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.“ Im Grunde genommen ist man nie wirklich alleine, wenn man sich geistig auf andere Menschen einlassen kann. Auch wenn sie nicht körperlich da sind. Ich bin durch diese drei Worte wie gedopt. Wieder hat jemand an uns gedacht, als er mit Sicherheit mit sich selbst jede Menge zu tun hatte. Danke, Hermann!
Nach weiteren fünf Kilometern, direkt hinter Mañeru sehe ich am Horizont das Dorf Cirauqui liegen. Im Vordergrund befinden sich Olivenhaine. Es ist ein malerischer Anblick und ich habe fast Tränen in den Augen, als mir einfällt, dass ich ein Aquarell gemalt habe, das diesem Ausblick hier in den Konturen verblüffend ähnelt. Ist vielleicht doch alles eins? Hier und Jetzt? Ist das ganze Leben nur ein Punkt und alles geschieht im selben Moment? Ich habe vor fünf Jahren das Aquarell aus dem Gefühl heraus gemalt, ohne Vorlage. Und jetzt sehe ich die Landschaft tatsächlich. Wie beeindruckend! Mein Wunsch ist „ihm“ Befehl - manchmal dauert die Erfüllung eben ein bisschen länger. Alles zu seiner Zeit. Mir wird immer klarer, dass jeder Weg, auch der schwerste, sich im Endeffekt lohnt.
Ich kann es kaum erwarten, Cirauqui zu erreichen. Nach einer knappen Stunde ist es endlich soweit. Es ist ein kleines, altes Dorf mit noch nicht einmal 500 Einwohnern. Die Gassen sind sehr eng und steil. Ich komme mir vor wie im Mittelalter. Es herrscht eine göttliche Ruhe. Kein einziges Auto ist in Sicht- oder Hörweite. Einige Menschen begegnen mir - zu Fuß natürlich. Fahrradfahren ist wegen der Steigungen unmöglich. Es ist Mittagszeit und es riecht hier und da nach Essen. Ich höre Stimmen und klapperndes Geschirr aus den Häusern, die meisten Haustüren sind weit geöffnet. Irgendwo muss eine Bar sein! Ich höre das Gemurmel und Lachen vieler Menschen. Ich möchte auch in dieser Bar sein, nach vierzehn gelaufenen Kilometern einen oder zwei Café con leche trinken und vielleicht einen Pilgerkollegen treffen.
Ich frage eine Frau, die vor ihrem Haus den Weg fegt, wo diese Bar ist. Sie zeigt in die Richtung und sagt, dass es ungefähr 100 Meter dorthin sind. Das ist normalerweise ein Katzensprung, aber nicht auf dem Camino und schon dreimal nicht diese sehr steile Straße hinauf. Ich habe die Hoffnung, noch an einer anderen Bar vorbeizukommen. Wenn es sein soll, dann gibt es noch eine. Wenn nicht, dann lauf ich eben weiter.
Es sollte nicht sein! Am Ortsausgang liegt ein Bauernhof, dessen Grundstück mit einer Mauer umgeben ist. Hier mache ich eine Pause. Mehrere andere Pilger hatten wohl den gleichen Gedankengang, denn ich bin hier nicht alleine. Es ist ein Kommen und Gehen. Ich kenne diese Leute zwar nicht, aber die Freude sich kurz auszutauschen, ist groß. Schon wieder das Phänomen der unsichtbaren Pilger, die man nur innerhalb geschlossener Ortschaften sehen kann. Sagenhaft!
Bis Lorca, meinem heutigen Etappenziel, sind es jetzt „nur noch“ sechs Kilometer. Es geht weiter über die Reste einer Römerstraße auf eine verfallene römische Brücke zu, steil bergab, diesmal auf großen, ungleichen, aber festen Steinen. Ich entscheide mich für den Rand dieser „Straße“ Da lässt es sich leichter gehen. Die Brücke sieht ziemlich mitgenommen aus. Man kann sie nur noch über nachträglich eingebaute Stufen überqueren. Ich muss teilweise sehr große Schritte machen und wie schon so oft wäre ich ohne meine beiden ständigen Begleiter, die Stöcke, aufgeschmissen. Natürlich nehmen Ruddi und ich diese Hürde - wenn auch mit letzter Kraft.
Auf dem Weg nach Lorca gibt es eine Weggabelung, an der ich hängen bleibe. Es ist unklar in welche Richtung es weitergeht. Das erste Mal bin ich so unsicher, dass ich mich erst entscheiden möchte, wenn ich in Ruhe eine Zigarette geraucht habe. Vielleicht empfange ich mit der nötigen Gelassenheit ja eine Eingebung. In einiger Entfernung entdecke ich ein paar Wanderer, die natürlich auch hier vorbei müssen. Mal sehen was die unternehmen. Eins ist sicher, ich werde nicht einfach hinterherlaufen! Bis hierhin bin ich heute ohne Umwege durchgekommen.
Als die drei näher kommen freuen Ruddi und ich uns mal wieder „ein weiteres Loch in den Bauch“, denn wir erkennen in ihnen unsere Lieblingspilger Achim, Oliver und Sabrina. Das lustige Grüppchen, das auf dem Weg nach Roncesvalles auf dem
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