5 1/2 Wochen
Brücke Puente de la Reina. Mitten drauf treffe ich auf zwei Männer, die mit Sicherheit geschäftlich unterwegs sind. Sie machen Fotos von diesem Bauwerk und dem Blick auf die Stadt. Was mag ihr Auftrag sein? Ich male mir aus, dass sie vielleicht Vorhaben, sich hier niederzulassen und sich um die Pilger des Jakobswegs zu kümmern. Sie suchen bestimmt nur noch den richtigen Platz für die Unterkunft, die sie aufmachen möchten. Ich glaube, dass es keine Herberge sein wird, sondern eine Pension. Sie sind sehr gepflegt, tragen Anzüge und haben Aktenkoffer dabei. So sehen die Herbergsväter, die ich bis jetzt kennen gelernt habe, nicht aus.
Während ich phantasierend an ihnen vorbeigehe, sprechen sie mich an: „Sind Sie Pilgerin? Wo sind Sie gestartet? Seit wann sind Sie unterwegs? Waren Sie mit den Unterkünften zufrieden? Ist das Ihr Hund? Läuft der auch den ganzen Weg? Können Sie den Hund mit in die Herberge oder das Hotel nehmen? Wie machen Sie das denn?“ Ich suche nach der Kamera und dem Mikrofon - das ist doch ein Interview, oder? Ja, ist es! Aber nicht für die Öffentlichkeit. Ich beantworte alle gestellten Fragen und versäume es nicht, für eine Pension zu plädieren, in der Hunde herzlich willkommen sind. Tatsächlich verraten sie mir, dass sie aus Österreich sind und genau das vorhaben, was ich vermutet habe. Ich wünsche ihnen viel Erfolg bei ihrem Unterfangen und setze meinen Weg fort.
Der Camino verläuft weiterhin über Feld- und Landwirtschaftswege ohne nennenswerte Steigungen. Ja, klar! Die Pyrenäen liegen ja auch hinter mir. Ruddi ist genauso begeistert wie ich, angesichts des entspannten Laufens ohne Regen. Fast pfeifend sind wir beide gemütlich unterwegs. Meinen Rucksack spüre ich kaum mehr auf dem Rücken. Der gehört nach sechs Tagen zu mir, als wäre ich nie im Leben ohne ihn gelaufen. Ich käme und kam nie auf die Idee, ihn transportieren zu lassen, wie Hermann es gemacht hat. Aber ich habe ja auch keine Schulterprobleme. Wo er wohl in diesem Moment unterwegs ist?
Auf einem Acker arbeiten zwei Bauern. Am Feldrand stehen ein altes Auto und eine Vespa. Die beiden Männer strahlen eine unglaubliche Zufriedenheit aus. Ihre Arbeit verrichten sie ohne moderne Landwirtschaftsmaschinen. Wenn die Sonne durch die Wolken guckt, ist sie ganz schön warm. Ab und zu lüften sie ihre Kopfbedeckung und wischen sich den Schweiß von der Stirn. Wir winken uns mit einem fröhlichen „Hola“ zu. Es ist fast wie in einem 60er-Jahre-Film mit Heinz Erhardt. Ich genieße dies alles sehr bewusst und denke so bei mir: „Jetzt ist der Camino friedlich. Er hat mich ja auch lange genug hart ran genommen.“ Das wurde ja schließlich mal Zeit. Das haben wir uns hart erkämpft, so locker zu wandern. Ich kann sogar gleichzeitig laufen und die Landschaft bewundern.
Ich habe es noch nicht zu Ende gedacht, entdecke ich einen Wegweiser, der mich rechts herum schickt. Es ist ein Weg, der sich durch mehrere Hügel schlängelt. Er ist matschig, viel zu matschig. Der Boden besteht aus einem Gemisch zwischen sehr feiner roter Erde und dem Regenwasser der letzten Nacht, das sich an dieser Stelle versammelt hat, um mich aufs Glatteis zu führen. Hier liegen keine Steine rum, die ein bisschen Halt geben würden. Ich will mal wieder das haben, was ich gerade nicht haben kann, anstatt mich mit dem zufrieden zu geben, was da ist. Gestern beim steinigen Aufstieg auf den Alto del Perdón wünschte ich mir die Wegverhältnisse, die ich hier vorfinde. „Du weißt doch, dass uns Dein Wunsch Befehl ist!
höre ich das Universum flüstern - dass die aber auch immer noch einen draufsetzen müssen!
Nach etwa 200 Metern wird der Weg steiler. Ich habe große Mühe voranzukommen. Es geht nur mit ganz kleinen Schritten und mit dem Einsatz der Wanderstöcke weiter. Meine Kräfte lassen nach und bald muss ich stehen bleiben. Nichts geht mehr! Ich stütze mich auf meine „beiden Freunde“ mit dem Gesicht Richtung Boden und traue meinen Augen nicht. Habe ich Halluzinationen oder sehe ich da wirklich Buchstaben? Ich zwinkere ein paar Mal, schau auch mal in eine ganz andere Richtung, um sicher zu gehen, dass ich das nicht träume. Hier steht tatsächlich genau vor meinen Füßen in den Matsch geschrieben: „Rudi halt durch, H.“
Das gibt es doch gar nicht! Da quäle ich mich, wer weiß wie weit, diesen höllischen Weg hoch und genau in dem Moment, wo ich am Ende meiner Kräfte bin, lese ich diesen Text. Wie vor ein paar Tagen die
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