5 1/2 Wochen
in seine Tasche packe und mitnehme. Sollen sie mich doch rausschmeißen! Ich lasse es gerne darauf ankommen. Wenn ich ihn hier unten alleine lassen würde, könnten wir ihn mit Sicherheit im Speiseraum heulen hören - dann müsste ich auch gehen. Mit einem aufgesetzten Lächeln betrete ich also mit einer übergroßen „Handtasche“ das Esszimmer und suche mir den hintersten Platz auf einer der langen Holzbänke aus. Achim erkennt meine Not, nimmt mir die Tasche ab, stellt Ruddi neben sich auf dem Boden ab und meint: „Jetzt soll mal einer was sagen!“
Nach dem Tischgebet - habe ich als Kind mit meiner Oma das letzte Mal gemacht - wird das Essen serviert. Es gibt Reis mit einer Fleisch-Gemüse-Soße beziehungsweise für Vegetarier auch ohne Fleisch. Das Essen schmeckt viel besser als ich erwartet habe. Ich nehme sogar Nachschlag. Sabrina hilft fleißig und gut gelaunt in der Küche. Aber allzu lange lassen sie sie nicht schuften. Da nach dem Essen die Gebetsstunde stattfindet, wird die Tischrunde relativ bald aufgelöst. Ich schätze, dass die Hälfte der Leute bleibt - Edit übrigens auch. Sie ist sehr gläubig und besucht jeden Abend eine Messe. Die anderen verteilen sich im Ort. Ina hat beim Essen neben mir gesessen. Wir beide verlassen sehr körpernah - damit die Hundetasche nicht auffällt - hintereinander den Raum.
Als ich meine Jacke aus dem Rucksack holen will, fällt mir auf, dass ich immer noch nicht die versprochene Decke bekommen habe. Ich reklamiere das und der Herbergsvater überlegt, wo er die herholen kann. Dann geht er in den Aufenthaltsraum, in den ich vorhin einen Blick geworfen habe und entsetzt darüber war, wie schmutzig es dort ist. Eine uralte Couch wurde mit einer Wolldecke „dekoriert“. Das heißt, dass sich hier die Pilger - bestimmt auch vor dem Duschen - rumlümmeln und die geschundenen Füße hochlegen. Diesen Lumpen nimmt er, schüttelt ihn aus und will ihn mir auf die Matratzen legen. Das geht gar nicht! Ich werfe ihm einen vorwurfsvollen Blick zu und sage: „Das ist nicht Dein Ernst! Die nehme ich nicht! Hast Du keine saubere Decke für mich?“ Es ist ihm sichtlich peinlich und er besorgt schleunigst eine andere. Diese ist wesentlich frischer. Ich bin dankbar, dass ich mitbekommen habe, was er mir da aufs Bett legen wollte.
Ina und ich besuchen wieder die Bar nebenan. Es ist ein kleines Lokal, aber es passen erstaunlich viele Leute rein. Es ist ein munteres Publikum bestehend aus Einheimischen und Pilgern. Ich habe mich wieder gefangen und ergebe mich meinem Schicksal. Während des Essens fasste ich den Entschluss, Edit's Rat anzunehmen und somit also diese Situation als Geschenk. Ich werde ab sofort den Abend ganz bewusst wahrnehmen und bin gespannt, was er für mich bereithält.
Nachdem ich „weich“ geworden bin, kann ich endlich wieder fröhlich sein. Ina und ich lassen das Erlebte noch einmal Revue passieren, aber von der humoristischen Seite. Mir laufen wieder die Tränen - diesmal vor Lachen. Die gute Laune an unserm Tisch zieht auch noch andere an und so sind wir beide nicht lange alleine. Da klingelt doch tatsächlich mein Handy. Es dauert ein bisschen, bis ich das realisiert habe. Wer kann das denn sein? Gespannt melde ich mich und glaube, ich träume: Das ist Hermann! Ich hatte ihm in den ersten Tagen meine Nummer gegeben, bis jetzt hat er noch nie angerufen. Nun erzählt er mir: „Ich war heute so gut unterwegs, dass ich gleich durchgelaufen bin, bis nach Los Arcos. Ich bin hier in einer tollen Herberge und ich fände es schön wenn Du auch hier wärst. Wo bist Du denn?“ Ich bin froh, dass ich mittlerweile locker antworten kann: „In der Herberge von Villamayor de Monjardín. Ich habe eine Menge zu erzählen, wenn wir uns wieder mal sehen. Du bist über 30 Kilometer gelaufen? Ich glaub es ja nicht! Wahnsinn! Wie fühlt sich das an?“ „Mir geht es richtig gut! Kommst Du? Bestell Dir ein Taxi, ich warte auf Dich!“ Da hat er doch tatsächlich das böse Wort gesagt. Taxi?! Einen Moment überlege ich, doch noch hier abzuhauen, aber ich lass es. Das passt nicht zu meinem Entschluss. Mein Pilgerfreund ist zwar traurig, quengelt auch noch ein bisschen. Aber letztendlich akzeptiert er meinen Entschluss.
Ich bin richtig glücklich darüber, dass er an mich denkt und meine Gesellschaft wünscht. So eine Situation hat sich in den letzten Jahren nicht für mich ergeben. Zuhause habe ich meine Familie und einige Bekannte, mit denen ich mich ziemlich regelmäßig
Weitere Kostenlose Bücher