5 1/2 Wochen
aufgeregt, läuft ein Stückchen weiter vor, bleibt stehen und hält dann seine Nase Richtung Himmel. Unglaublich wie beweglich diese Nase ist! Die Ohren sind gespitzt und er legt gespannt den Kopf von der einen auf die andere Seite, so als hörte er etwas. Er hat eine Fährte aufgenommen. Vielleicht ist es die von Hermann, der ja mit Sicherheit gestern auch hier gewesen ist. Dann kommt er zu mir, setzt sich vor mich und erzählt mir mit seinen Augen, was er eben erfahren hat. Aber das bleibt unser Geheimnis! Mir fällt auf, dass Ina die ganze Zeit ihre Jacke in der Hand hält. Sie ist eine der wenigen, die ohne Pilgerstab oder „Gehhilfen“ unterwegs ist. Mich würde es wahnsinnig machen, wenn ich ständig etwas in der Hand halten müsste, das genauso gut im Rucksack liegen könnte. Meine Hände sind mit den Trekkingstöcken beschäftigt. Die unterstützen mich tatkräftig. Sie sorgen dafür, dass die Finger nicht anschwellen und durch die geöffnete Armhaltung das Atmen leichter ist. Wenn ich zuhause spazieren gehe, empfinde ich es als sehr angenehm, wenn die Hände frei im Rhythmus mitschwingen können. Ina sagt, es mache ihr nichts aus, sie trüge immer irgendetwas in der Hand. Sie kann sich nicht vorstellen, mit Stöcken zu wandern. So ist halt jeder Jeck anders und ich versuche, mir keine Gedanken mehr über ihre Gewohnheiten zu machen. Hauptsache sie fühlt sich wohl.
Nachdem wir tatsächlich Sansol doch noch einholen konnten, erreichen wir kurz darauf, so gegen 13 Uhr Torres del Rio. Wir wünschen uns nichts sehnlicher, als irgendwo gemütlich zu sitzen und einen oder zwei, wenn nicht drei Café con leche genießen zu dürfen. Wir sind immerhin schon über 20 Kilometer gelaufen. Das heißt, dass wir unglaublich schnell unterwegs waren. Heute ist der Camino aber auch wirklich erstaunlich leicht zu gehen. Er ist breit und flach. Bis auf ganz kurze Abschnitte vollkommen ohne Verkehr und zudem ist das Wetter optimal.
Auf der Hauptgasse finden wir einen Hinweis auf eine österreichische Herberge. Ina ist ganz begeistert: „Da müssen wir hin, ich habe von diesem Haus schon viel gehört. Ich will mir das unbedingt mal ansehen. Die sollen besonders nett und sauber sein. Wollen wir da unsere Pause machen?“
Gesagt, getan. Durch ein Törchen kommen wir auf das Grundstück. Es ist wie in einem Märchen. Wir betreten einen kleinen Hof, der liebevoll mit bunten Blumen dekoriert ist. Über dem Gartentisch und den Stühlen ranken an einem Gitter grüne Pflanzen, die Schatten spenden. Auf dem Tisch stehen Kerzen, Kekse und Kaffeekannen auf einer sommerlichen Decke. An der Hauswand befindet sich ein kleiner, alter Brunnen und daneben einige schnuckelige Gartenzwerge, die damit beschäftigt sind, die winzigen Beete rechts und links in Ordnung zu halten. Neben der Eingangstür steht ein Kühlschrank mit einer Glastür, durch die man die kalten Getränke sehen kann. Sofort bekommt man Lust auf eine dieser Erfrischungen. Mein Gesamteindruck dieses Hofes ist mehr als einladend, ich fühle mich sofort irgendwie „gut aufgehoben“. Durch zwei große Fenster blicken wir in einen hellen und sauberen Schlafraum. Die Betten sind mit frischen, weißen Laken bezogen und am Fußende liegen Wolldecken.
Nach ungefähr einer Minute erscheint die Herbergsmutter, die diese Idylle abrundet. Sie strahlt Freude, Ruhe und Gelassenheit aus und heißt uns - inklusive Ruddi - herzlich willkommen: „Schön, dass Ihr hier seid. Läuft der Kleine auch den ganzen Weg? Bist Du süß! Wie heißt Du denn? Du bist bestimmt müde und hast Durst!“ Sie preist uns den Brunnen an, um frisches Wasser für meinen Hund zu zapfen und erkundigt sich nach unserem Befinden. Der Empfang könnte nicht liebevoller sein. Sie fragt uns, ob wir übernachten wollen. „Nein, aber wir möchten bei Dir eine Pause machen und Kaffee trinken. Geht das?“ Sofort holt sie zwei Tassen und frische Kekse raus. Sie entschuldigt sich: „Bedient Euch. Ich komme gleich wieder zu Euch, aber vorher muss ich noch schnell eine Pilgerin, die vor ein paar Minuten angekommen ist, einschreiben und ihr ein Bett zuweisen.“
In der Kaffeekanne auf dem Tisch befindet sich nur noch ein Rest, so gerade eine Tasse. Ina überlässt ihn mir mit den Worten: „Ich trinke jetzt sowieso lieber was Kaltes. Ich gehe mal eben zur Toilette und bringe mir dann was mit. Bin gleich wieder da.“ Kaum ist sie im Haus verschwunden, bekomme ich ganz schwach mit, dass sie mit jemandem spricht, den sie
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