5 1/2 Wochen
anscheinend kennt: „Hallo, wie kommst Du denn hierhin...?“ Mehr kann ich nicht verstehen, aber ich werde wohl gleich Bericht erstattet bekommen.
Zufrieden lasse ich mich auf einem der Stühle nieder und könnte mir durchaus vorstellen, hier zu übernachten. Aber es ist erst Mittag und ich will meinen Tages-Kilometer-Durchschnitt ein wenig anheben. Nach einigen Minuten kommt Ina mit einem Getränk in der Hand wieder raus und verzieht das Gesicht: „Du kommst nie drauf, wer drinnen sitzt!“ Kurze Pause. „Gudrun ist hier und bleibt auch. Die kann ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Die nervt mich. Momentan kann ich die Jammerei nicht ertragen. Es geht immer nur um ihre Krankheiten. Gut, dass wir nach der Pause weitergehen.“ Ich antworte: „Bleib ruhig. Das wird schon nicht so schlimm sein. Ich glaube nicht, dass sie raus kommt. Also genieße die Pause und denk einfach nicht dran. Komm setz Dich neben mich.“
Sie ist sehr schnell wieder friedlich. In diesem Moment öffnet sich das Tor und eine sehr große Frau mit einem Riesen-Rucksack betritt stürmisch den Hof. Sofort fängt sie aufgeregt an zu blubbern. Mann, ist die temperamentvoll - das passt gar nicht ins Bild. Sie kann nicht stillstehen, dreht und wendet sich und zack... lässt sie sich, mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken, neben mir in den Stuhl plumpsen. Ina guckt mich genervt an und gerade als sie was sagen will, steht die wild gewordene Pilgerin wieder auf, um ihr Gepäck abzulegen. Blitzschnell sitzt Ina mit einem bösen Blick auf dem soeben frei gewordenen Stuhl. Es ist eine Reise nach Jerusalem - ach, nicht nach Santiago? Aber Spaß beiseite, ich hätte es an ihrer Stelle genauso gemacht. Hat denn die „Neue“ überhaupt kein Benehmen? In der nächsten Sekunde höre ich es scheppern und platschen. Die hat doch tatsächlich durch ihre Unachtsamkeit mit ihrem Hintern meinen Kaffee vom Tisch geschossen. Der verteilt sich jetzt langsam ab sicher auf dem Boden. Die Kekse machen ihren Freischwimmer und ich bin entsetzt. Wie kann sie es wagen?! Alles was ihr dazu einfällt ist ein gut gelauntes „Ups!“. Ich jammere sie an: „Das war der letzte Kaffee. Den wollte ich eigentlich trinken.“ Sie kümmert sich nicht weiter darum und geht hinein, um sich anzumelden. Ina und ich gucken uns sprachlos an und dann können wir uns nicht mehr halten vor Lachen. „Was war das denn für eine?!“
Ich begebe mich nun auch mal in das Haus und auf die Suche nach der Toilette. Auf meinem Weg dorthin, verstärkt sich mein positiver Eindruck noch. Alles ist blitzblank und unheimlich gemütlich, passend zum Eingangsbereich - außen hui, innen auch. Als ich das Bad betrete, ist meine Begeisterung auf dem Höhepunkt. Obwohl es sich um eine kleine Herberge handelt, gibt es hier drei oder vier Duschkabinen und ebenso viele WCs. Die Wände und der Boden sind weiß gefliest. Das Porzellan hat die gleiche Farbe. Große Spiegel hängen über den Waschbecken. Die Luft ist sehr gut, der Raum hell und blitzblank. Die Toiletten sind jeweils mit einem Bewegungsmelder ausgestattet, so dass die Lampe von alleine an- und ausgeht. Was für ein Luxus! Das hatte ich noch nicht mal im teuren Hotel in Roncesvalles. Ein kleiner, aber lustiger Nachteil ist, dass sich etwas bewegen muss, wenn es auf dem Klo dunkel wird, damit die Technik einem ein Licht aufgehen lässt. So sitzt man also winkend auf dem Pott. Wie gut, dass hier kein Spiegel hängt, sonst käme ich schon vor Lachen nicht mehr hoch. Mein Körper spielt sowieso noch immer nicht so geschmeidige Bewegungen ab, wie ich es von ihm gewohnt bin. Grinsend verlasse ich das stille Örtchen und im selben Moment öffnet sich gegenüber die Duschkabine. Die tropfende Gudrun steht mit - vom heißen Duschen - knallrotem Kopf und Dekolletee vor mir. Wir grüßen uns knapp und ich mach mich schleunigst vom Acker.
Einige Minuten später kommt Margret, die Herbergsmutter zu uns raus und sieht die Kaffeepfütze auf ihrem Hof. Sie macht nicht viel Aufhebens davon, spritzt schnell mit einem Schlauch die braune Brühe weg. Ruddi gerät kurz in Panik und läuft planlos von einer Ecke zur anderen. Sie muss schmunzeln, beruhigt ihn aber auch und drosselt die Wasserzufuhr.
Jetzt hat sie ein bisschen Zeit, sich mit uns zu unterhalten. Sie kommt aus Österreich und hat heute ihren letzten Arbeitstag hier in Torres del Rio. Sie war - wie jedes Jahr - drei Monate ehrenamtlich in dieser Herberge tätig. Morgenfrüh kommt ihre Nachfolgerin.
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