5 1/2 Wochen
Sie ist eine Frau, die rundherum zufrieden ist, nichts zu meckern hat. Sie strahlt von innen - wie ihre Herberge. Ich bewundere ihre Halskette. Der Anhänger ist eine kleine silberne Jakobsmuschel. Ich frage nach, wo man so eine Kette kaufen kann, die muss ich auch haben. Sie würde mich immer an den Jakobsweg, Margret und diese erholsame Pause in „ihrer österreichischen“ Herberge erinnern. Zu meiner Überraschung verkauft sie diese Ketten. Das hatte sie fast vergessen - überlegt, wo sie die hingelegt hat. Sie geht ins Haus, um nachzuschauen.
Ich erzähle Ina, dass ich auch auf Gudrun getroffen bin und frage, was genau sie an ihr auszusetzen hat. „Sie ist undankbar. Wenn Du ihr den kleinen Finger reichst, nimmt sie die ganze Hand. Ich habe tage- und nächtelang sehr viel Rücksicht auf sie genommen, bin mit ihr zusammen ein paar Tage im Schneckentempo den Camino entlang gekrochen und als es mir mal nicht so gut ging und eine Pause machen wollte, sagte sie mir, ich würde sie aufhalten. Es war ihr egal, was mit mir los war. Sie hatte überhaupt kein Verständnis für mich. Und außerdem ist es sehr anstrengend, wenn jemand immer nur von seinen Krankheiten erzählt. Ausschlaggebend für den Streit war, dass sie mich um vier in der Früh zum wiederholten Mal geweckt hat, weil sie mal wieder ihre Beine wickeln musste. Ich verstehe nicht, warum das mitten in der Nacht passieren muss. Sie stört dadurch ja schließlich auch die anderen, die mit uns in einem Raum schlafen. Das wurde mir einfach zu viel.“ „Umgib Dich auf „Deinem Weg“ ausschließlich mit Leuten, die Dir gut tun, sonst tut Dir der Weg nicht gut. Überlege aber trotzdem in einer ruhigen Stunde, warum Du dieser Frau begegnet bist. Du triffst keinen Menschen ohne Grund. Jeder, dem Du begegnest hat Dir irgendetwas mitzuteilen, ist Dein Spiegel.“ Das ist alles was ich dazu sage.
Margret kommt tatsächlich mit zwei Jakobsmuschel-Ketten zurück. Es ist mir wurscht, was dieses Schmuckstück kostet, mache zwei Laufknoten in das schwarze Baumwollband und hänge sie mir um den Hals. Dann stelle ich die Länge ein und bemerke erst jetzt, dass die beiden Mädels mir mit offenem Mund dabei zuschauen. Ich frage, was los ist. „Es die Technik, wie Du das Band geknotet hast. Das ist ja praktisch! Wie geht das?“ fragt Ina, die sich ebenfalls diese Kette kauft. Margret nickt zustimmend. Ich zeige es den beiden an ihren Ketten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich damit jemanden beeindrucken kann. Nun sind es gleich zwei Frauen, die das so toll finden, dass sie mir vor Dankbarkeit um den Hals fallen. Als wir bezahlen wollen, fragt die Österreicherin uns, was uns die Kette wert sei, sie hätte keinen Preis im Kopf. Das ist schwierig, ich kenne mich mit den Materialien von Schmuckstücken nicht aus und frage sie nach einer Preisspanne. Sie antwortet: „Zwei, drei oder fünf Euro vielleicht?“ Wir geben ihr jeder fünf Euro. Sie freut sich nochmal und dann verabschieden wir uns - nicht ohne ihr zu sagen, wie schön es hier ist. Es ist so, als wären wir alte Bekannte. Dieser Abstecher hat richtig gut getan. Unbemerkt sind fast eineinhalb Stunden vergangen. Nun wird es höchste Zeit. Es ist 14 Uhr und wir haben noch elf Kilometer vor uns.
Zunächst ist der Camino noch gnädig und wir kommen ganz gut voran. Aber nach zwei, drei Kilometern ist Schluss mit Lustig. Es ist ein ständiges unglaubliches Auf und Ab. Es sind wieder alle Stolperfallen dabei, die so ein Weg hergeben kann. Volle Konzentration ist angesagt. Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass wir schon so weit gelaufen sind, aber es ist außergewöhnlich anstrengend. Und ich dachte, die Pyrenäen wären am steilsten. Ich werde deutlich eines Besseren belehrt. Ina läuft trotz ihrer Blasen wie eine Gazelle die Hügel rauf und runter. „Hut ab!“
Nach fast zwei Stunden, muss ich mich wieder ausruhen. Ich nutze die Gelegenheit, als meine Begleiterin ein paar Fotos machen möchte. Ich schwenke nicht die weiße Fahne, aber Ruddi’s Kuscheldecke und setze mich demonstrativ an den Wegesrand. Ina macht es mir ohne zu meckern nach. Mein Hund freut sich über meine Entscheidung und lässt sich dankbar nieder. Er lädt mich großzügig auf sein weiches Lager ein. Diese Pause dehnen wir natürlich nicht zu sehr aus. Nach etwa 15 Minuten gehen wir weiter.
Mein Körper schimpft was das Zeug hält, er erklärt mich für komplett verrückt. Ich habe keine Ahnung, wie ich es bis zum Etappenziel schaffen soll.
Weitere Kostenlose Bücher