5 1/2 Wochen
aber keine Geräusche. Schnurzel ist ungehalten! Meine Nerven liegen blank! Bleibt Ruddi unentdeckt? Was passiert, wenn nicht? Am Ende laufen wir noch wie Hänsel und Gretel durch den finsteren Wald und finden das Hexenhäuschen nicht. Mit liebevollen, aber flehenden Gedanken beruhige ich meinen kleinen Vierbeiner. Zu allem Überfluss findet die Señora erst nach vielen Versuchen den richtigen Schlüssel an ihrem reich bestückten Schlüsselbund. Endlich betreten wir das heißersehnte Schlafgemach. Wir erhalten noch einige Erklärungen und Hinweise unserer Vermieterin. „Mach voran oder meine Tasche bellt Dich an!“ denke ich und bin einer Ohnmacht nahe. Ich schicke ein Stoßgebet: „Lieber Gott! Ich weiß, dass es Dich gibt. Wenn Du gerade Zeit hast und mich hörst, dann schickst Du die nette Frau sofort weg. Mein Hund muss aus seiner Gefangenschaft befreit werden. Jetzt!“ „Simsalabim, Dein Wunsch sei mir Befehl!“ Fast zeitgleich klingelt ihr Telefon und sie entschuldigt sich sehr eilig. „Danke!“ sage ich laut mit nach oben gerichtetem Blick. Edit guckt mich ein bisschen verwirrt an, aber da werde ich jetzt auch noch mit fertig. Endlich kann ich die Tasche öffnen und Perrito hüpft glücklich heraus. Ich stelle ihm seinen Wassernapf hin und er stürzt sich sofort darauf.
Unser Drei-Bett-Zimmer ist ein Traum. Edit und ich sind alleine darin. Gott sei Dank! Was hätte ich sonst mit Ruddi gemacht? Ein riesiges, wunderschönes, modern eingerichtetes Zimmer inklusive eines sehr großen blitzblanken Bades ist unser Reich für eine Nacht.
Frisch geduscht erscheinen wir knapp eine Stunde später im Comedor (Speiseraum) um zu Essen. Wir sind die einzigen Gäste. Wie immer liegt Ruddi in seiner Tasche zu meinen Füßen. Alles verläuft prima. Das Essen ist sehr gut. Edit und ich trinken eine Flasche Wein und haben einen sehr gemütlichen und harmonischen Abend. Diese Idylle wird jäh zerstört als drei kleine Kinder, die zur Familie gehören, auftauchen und den Speiseraum zum Spielplatz erklären. Immer wieder rennen sie ausgelassen schreiend um unseren Tisch herum - beängstigend knapp an der Ruddi-Tasche vorbei. Wie lange bleibt mein Hund wohl noch still? Der muss doch Angst haben! Wir müssen hier weg, bevor mein kleines Geheimnis auffliegt.
Wir gehen nach draußen. Vor der Tür stehen an der Hauswand entlang einige Tische und Bänke. Hier setzen wir uns hin, rauchen eine Zigarette und erzählen noch ein bisschen. Irgendwann wird es uns aber zu kalt. Wir beschließen, Ruddi zuliebe noch ein paar Schritte zu gehen. Irgendwo muss ich ihn doch frei lassen können. Es ist fast dunkel und er ist schwarz. Es wird schon gut gehen. Wir bewegen uns immer an der Wand lang um das große Gebäude herum. Als wir am hinteren Ende angekommen sind, wage ich es, Ruddi aus seiner Tasche zu lassen, damit er „seine Geschäfte“ erledigen kann und die Nacht gut übersteht. Nicht zu wissen, ob dieser kleine tapfere Hund entdeckt wird und wir rausfliegen, lässt meinen Adrenalin- Spiegel enorm ansteigen. Es käme einer Katastrophe gleich. Er bleibt aber unser Geheimnis.
Uns wird bewusst, wie schön es hier ist. Wir stehen auf diesem riesigen Grundstück mitten im Wald. Es herrscht eine unglaubliche friedliche Ruhe. Wir hören und riechen ausschließlich die Natur. Keine Schritte, keine Anstrengung - einfach nur hier stehen und eins mit allem sein. Deswegen pilgere ich. Es sind diese krassen Gegensätze, die ich jeden Tag erlebe, die Dankbarkeit für die Menschen, die ich hier sehr kurz, aber umso intensiver, kennenlerne. Es sind die Schmerzen, die mir zeigen, wie groß und komplett mein Körper ist. Es ist die tägliche Erkenntnis, dass man alles schafft, wenn man einfach nach jedem Schritt den nächsten macht. Ich muss jetzt gar nicht wissen, was nachher passiert. Ich muss einfach nur gehen und alles fügt sich, wenn ich offen bin für das was um mich herum geschieht und nicht in Panik verfalle.
Vor dem Schlafengehen verwöhnen wir noch jeweils unsere Füße mit einer besonderen Creme. Wir müssen uns gut mit ihnen stellen, denn morgen geht es wieder weiter. Heute tun mir übrigens zum ersten Mal nur die Füße weh (Druckschmerz vom Zwölf-Kilo Rucksack). Meine Muskeln, Knochen und Gelenke haben sich anscheinend mit der Pilger-Situation angefreundet. Ich bin ja mal gespannt, wie wir morgen wieder zurück nach Grañón kommen. Edit und ich haben den Wunsch, dass uns jemand genau an der Stelle wieder absetzt, wo wir heute
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