5 1/2 Wochen
dieses schönen Ladens zu tun habe. Die Stimmung ist sehr locker und lustig. Auf eine angenehme Art und Weise flirtet er ein bisschen mit mir. Immer wieder beschäftigt er sich auch mit Ruddi, spricht ihm auf Spanisch gut zu und fragt ihn, ob er Hunger hat. Ruddi muss wohl mit „JA“ geantwortet haben. Mit meinem Einverständnis, ihm etwas zu fressen zu geben, verschwindet der fürsorgliche Mann in seinem Laden.
Einige Minuten später kommt er mit einem liebevoll bestückten, schneeweißen Porzellantellerchen wieder heraus. Fünf verschiedene Leckerchen vom feinsten Fleisch beziehungsweise Pastetchen werden ihm liebevoll gereicht. Da fehlt nur noch das Petersiliensträußchen, um die Lieferung als Vorspeise durchgehen zu lassen. Ich habe irgendetwas bei der Erziehung meines Hundes falsch gemacht. Ohne sich zu bedanken oder zu zögern verschlingt er alles gierig und zu allem Überfluss guckt er seinen Gönner auch noch so flehentlich an, dass diesem die Tränen der Rührung in die Augen schießen. Würde ich nicht ablehnen, Nachschub zu besorgen, hätte die Küche jetzt die Hauptspeise serviert. Ich mache dem netten Señor aber klar, dass es sich mit vollem Bauch nicht gut laufen lässt. Wir haben ja schließlich noch mindestens zehn Kilometer vor uns.
Die nächsten Kunden gehen ins Geschäft und ich sitze eine Weile alleine am Tisch. Ich halte wieder Ausschau nach anderen Pilgern. Aber dieses paradiesische Plätzchen fällt nicht sofort auf, wenn man nicht gerade auf der Suche nach einer Bar oder ähnlichem ist. Ich habe Sehnsucht nach Sabrina, Oliver und Achim. Sie wären begeistert von dieser Oase. Es kommt mir so vor, als hätte ich sie ewig nicht gesehen. Wüsste ich es nicht besser, könnte ich denken, ich hätte mich verlaufen.
Plötzlich und ziemlich rasant fährt ein Moped auf den Parkplatz vor der Terrasse. Der Fahrer bremst temperamentvoll ab, springt von seinem Roller und landet - fast ohne auf dem Boden aufzusetzen - in einem freien Stuhl an meinem Tisch. Er strahlt über das ganze Gesicht, freut sich unbändig mich zu sehen und hat viel zu erzählen. Ich kann ihn nur leider nicht verstehen. Ich muss laut lachen und zucke die Schultern. Er lacht mit, beschäftigt sich mit Ruddi, als kenne er ihn schon seit langem. Ich überlege, wie sich das hier so verhält. Wer ist denn der? Ich meine, ich freue mich ja über so nette Gesellschaft, aber ich habe den Mann noch nie gesehen. Zumindest nicht in diesem Leben! Der Barbesitzer klärt die Situation auf. Es ist sein Bruder, dem er eben am Telefon von mir erzählt hat und der lässt es sich nicht nehmen, mich auch kennenzulernen. Ich staune nicht schlecht: Was mag er denn über mich Spannendes berichtet haben, dass sein Bruder sich extra auf den Weg hierhin macht? Habe ich mich doch verlaufen und bin hier als Pilgerin ein Einzelstück und deshalb besonders sehenswert? Hm, kurios! Aber wir haben Spaß. Wir verstehen unsere Worte nicht, aber unsere Mimik und Gestik löst Lachsalven aus.
Nach einer guten Stunde bekomme ich auf Kosten des Hauses noch einen Café con leche serviert. Wenn ich ein bisschen vernünftig wäre, müsste ich jetzt meine sieben Sachen packen und weitergehen. Ich will doch immer noch nach Santiago, oder? So viel Spaß und Gastfreundschaft kann und will ich mir aber nicht entgehen lassen. Ich bleibe und zu meiner Freude erscheint auch noch der Vater der beiden lustigen Söhne. Jetzt sitzen wir zu viert am Tisch unter dem Sonnenschirm und amüsieren uns köstlich für eine weitere Stunde. Das ist die längste Pause, die ich bisher eingelegt habe.
Irgendwann am späten Nachmittag kann ich mich loseisen und mache mich wieder auf den Weg. Der Abschied verläuft so, als ob wir eine Familie wären. Ich fühle mich wie gedopt. Das war ein toller Nachmittag mit den spanischen Jungs. Wieder einmal habe ich mich auf unbekanntes Terrain begeben und mich der Situation schlichtweg hingegeben. Ich bereue keine Sekunde. Ich habe einfach vertraut und mich auf die Mentalität der Spanier eingelassen. Einem Menschen mit Ängsten vor Fremden wäre diese tolle Zeit entgangen. Danke, dass ich so bin, wie ich bin.
Es geht mir sehr gut, jetzt, wo ich alleine unterwegs bin. Während des Laufens finde ich meinen eigenen Rhythmus - muss mich niemandem anpassen oder Rücksicht nehmen. Das ist ein ganz anderes Gefühl für Körper, Geist und Seele. Und ich durfte die Erfahrung machen, dass ich, auch wenn in einer Bar keine anderen Pilger sind, eine Menge Spaß und
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