5 1/2 Wochen
Abend ins Auto gestiegen sind. Wir werden sehen! Alles kommt wie es kommen muss. Als Pilger kann man nichts planen, sondern improvisiert immer wieder aufs Neue. Das ist eine sehr spannende und interessante Variante zum alltäglichen Leben zu Hause. Hier lernt man zu vertrauen, sich mitzuteilen und selbstlose, von Herzen kommende Hilfe anzunehmen. Mir wird besonders bewusst, dass ich zu Hause freudig und gerne gebe, aber oft Probleme damit habe etwas von anderen anzunehmen. Dabei ist mir noch nie aufgefallen, dass ich den anderen die Freude vorenthalte, mir zu geben. Mit diesen Gedanken schlafe ich zufrieden ein.
Am nächsten Morgen wachen wir sehr ausgeruht auf. Der Wald hat uns seine gute Energie eingefüllt. Was für ein Glück, dass wir hier übernachtet haben. Wer hätte das gedacht, nach der Aufregung in Grañón? Zum Frühstück erscheinen wir mit vollem Gepäck, so dass wir nicht nochmal aufs Zimmer müssen bevor wir abreisen. Ich frage die Señora, ob sie eine Idee hat, wie wir wieder nach Grañón zurückkommen können. Natürlich hat sie eine Idee! Und einen Bruder, der ein Auto fährt. Das gibt es doch gar nicht! Noch so ein toller Bruder. Wir können unser Glück kaum fassen. Wir bezahlen lediglich 25 Euro pro Person für das schöne Zimmer, das Abendessen und das Frühstück.
Unser Fahrer ist schon da, trinkt aber noch einen Kaffee, bevor es losgeht. Der Abschied von der Jugendherbergsmutter verzögert sich noch ein wenig, weil sie uns unbedingt noch etwas zeigen möchte. Sie führt uns durch einige sehr große, sparsam, aber imposant antik möblierte Räume und schließt eine eindrucksvolle Pforte mit einem Schlüssel, der in keiner Hosentasche Platz findet, auf. Wir trauen unseren Augen nicht: Edit, Ruddi-in-Tasche und ich befinden uns alleine in einer wunderschönen Kirche. Die Señora zwinkert uns zu, gibt zu verstehen, dass wir hier noch einen Moment verweilen dürfen und schließt leise die Tür hinter sich. Edit weint vor Glück. Sie geht jeden Tag in eine Kirche, um zu beten. Ich gehe nie in die Kirchen, genieße aber jetzt gerade die absolute Stille und den Frieden. Ich weiß nicht, wie lange wir uns dort aufgehalten haben. Sicher ist, dass dies der krönende Abschluss der letzten 16 Stunden ist.
Die Autofahrt zurück nach Grañón verläuft wie die Hinfahrt. Der Fahrer ist genauso zuvorkommend und freundlich wie der von gestern Abend. Auch er würde sich lieber erschießen lassen, bevor er auch nur einen Euro von uns nimmt. Nun stehen wir hier, genau an der Stelle, an der wir gestern aufgehört haben und können unser Glück kaum fassen. Ruddi hat diesmal sicher sein Meisterstück abgeliefert. Nun darf er aus der Tasche und freut sich tierisch, uns zu sehen. Er läuft ein bisschen hin und her, schnuppert ab, wo er gestern Abend so in seiner Tasche versteckt gestanden hat, bleibt ungefähr drei Meter von uns entfernt in Richtung Santiago de Compostela stehen und „ruft“ Edit und mir zu: „Kommt, wir müssen weiter!“ Ich liebe ihn.
Samstag, 26. April 2008
Grañón (396 Einwohner), 724 m üdM, La Rioja
12. Etappe bis Belorado, 16,6 km
Am Ortsausgang drehe ich mich noch einmal um und verabschiede mich von diesem kleinen außergewöhnlichen Ort und seinen Menschen. „Ich werde Euch nie vergessen. Gracias por todo!“ Edit und ich haben beschlossen, alleine zu laufen. “Buen Camino. Hasta la vista.”
Die Etappe beginnt ziemlich spät auf sehr angenehmen Wegen. Mir fällt auf, dass hier bei Grañón die Einheimischen auf dem Pilgerweg in den Feldern spazieren gehen. Das habe ich bisher nicht gesehen. Sie sind durchweg sehr gut gelaunt und rufen den Pilgern ein fröhliches „Hola, buen Camino“ zu. Es geht einen Hügel hinauf, der die Regionen Rioja und Castilla-Leon trennt. Von hier aus genieße ich einen atemberaubenden Weitblick mit den Montes de Oca in der Feme. Diese gilt es morgen oder übermorgen zu bezwingen. Immerhin geht es auf über 1000 Meter über dem Meeresspiegel. Mein Reiseführer verspricht eine oder zwei sehr harte Etappen. Ich darf also weiter gespannt sein.
In meine Gedanken hinein ruft meine Pilgerfreundin Edit ein freudiges „Hola“. Ich bin erstaunt und sehr erfreut sie so schnell wiederzusehen. Wir verweilen ein Viertelstündchen an diesem schönen Platz auf dem Hügel, ohne viel zu reden. Wir genießen einfach nur den gemeinsamen Moment in der Natur.
Mein Reiseführer ist ne Wucht. Ich habe ihn bisher noch bei keinem anderen Pilger gesehen. Alle schauen
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