5 1/2 Wochen
seiner weichen himmelblauen Siesta-Decke und schlummert selig vor sich hin. Er hat alle seine Lieben in der Nähe, sollen wir doch ausgelassen und albern sein so viel wir wollen. Wären wir nicht zum Pilgern unterwegs, würden wir wahrscheinlich bis zum nächsten Morgen durchmachen und fürchterlich abstürzen. Nach einer guten Stunde machen wir uns aber nach und nach wieder auf den Weg. Das hat unglaublich gut getan. Die richtigen Pilger zur richtigen Zeit am richtigen Ort bewirken Wunder.
In der City pulsiert das Leben. Einige von uns haben sich schon einen Herbergsplatz gesichert und ich habe große Lust ebenfalls hier zu bleiben. Bis nach Grañón sind es noch fast sieben Kilometer. Der Nachmittag ist schon fortgeschritten. Mit Edit zusammen begebe ich mich in die nächste Herberge. Wir fragen nach, wo man heute Nacht noch ein freies Bett finden kann. „Alles belegt, in der ganzen Stadt“, lautet die Auskunft des freundlichen Herrn. Edit und ich müssen also weiterlaufen. Außerhalb des Ortes gehen wir wie gewohnt getrennt weiter. „Buen Camino!“
Es ist doch noch sehr heiß geworden. Die Sonne hat bereits seit Stunden den puren Durchblick. Ruddi kann nicht mehr. Er ist total im Eimer. Ich trage ihn ungefähr zwei Kilometer, obwohl ich selbst nur noch wenig Kraft habe. Ich schicke wieder Stoßgebete an den Wettergott. „Lass bitte in den nächsten Wochen immer ein paar Wolken am Himmel sein. Ich will den Jakobsweg bis nach Santiago gehen, und zwar an einem Stück. Das geht nur, wenn mein kleiner Hund nicht leiden muss. Danke!“
Gleicher Tag (insgesamt 222,8 km gelaufen)
Grañón (396 Einwohner), 724 m üdM, La Rioja
Jugendherberge, Drei-Bett-Zimmer, 25 Euro pro Person inklusive Abendessen und Frühstück
Total erschöpft kommen wir am Abend in Grañón an. Hier ist die Herberge im Kirchturm. Ich steige mit Ruddi unterm Arm die Treppen rauf. Oben angekommen werde ich von den Herbergsleuten sofort auf ein Sofa geschubst. Ich glaube, sie können mir ansehen, dass ich total fertig bin. Innerhalb von Sekunden habe ich ein Glas Wasser in der Hand und noch viel schneller getrunken. Meine Flasche ist schon seit einiger Zeit leer. Hier wird gerade gekocht. Dieser Duft, das Brutzeln und die Geräusche aus der Küche erinnern mich an meine Mutter. Sie würde mir sofort einen Teller fertig machen und ihn mir mit dem Wasser reichen. Am liebsten würde ich das Küchenpersonal überfallen. Na ja, ich glaube, wenn ich darum bitten würde, bekäme ich Essen von ihnen und das letzte Hemd noch dazu. Aber ich will ja auch nicht unverschämt sein.
Ich fühle mich durch die Pause und das Wasser gestärkt und erkundige mich nach einer Pension im Ort. Ich erfahre, dass es zwar ein Hotel gibt, dort aber alle Zimmer belegt seien. Prost Mahlzeit! Was denn jetzt? Den Tränen nah, aber dankbar, verabschiede ich mich und steige vorsichtig Stufe für Stufe die Treppe hinab. Auf halber Höhe kann ich in den Schlafsaal der Pilger schauen. Dieser Raum ist komplett mit Matten, wie ich sie aus der Turnhalle kenne, ausgelegt. Ich schätze, dass sich hier mindestens 50 dieser Matten befinden. Einige Pilger haben sich hingelegt, andere kramen in ihren Rucksäcken. Abgesehen davon, dass ich mit Ruddi hier sowieso nicht übernachten dürfte, könnte ich es auch nicht. Ich bin nach wie vor und immer mehr davon überzeugt, dass ein Pilger unbedingt eine ruhige, erholsame und komfortable Nacht braucht, um am nächsten Tag wieder fit zu sein.
Ich betrete die nächste Bar, um mich nach einem Schlafplatz zu erkundigen. Perrito lasse ich in der Tasche und trage ihn weiterhin, zum einen weil er am Ende ist und zum anderen weil ich dann leichter ein Zimmer finde. Die Señora hinter der Theke macht mir mit Händen und Füßen klar, dass es außerhalb von Grañón eine Jugendherberge gibt. Die ist allerdings 1,5 Kilometer entfernt. Und jetzt? Ich kann soweit nicht mehr laufen. Auf gar keinen Fall! Also gut, dann muss ich dorthin gefahren, aber morgenfrüh an genau dieser Stelle wieder abgesetzt werden. Ich will - komme was da wolle - jeden einzelnen dieser 784.000 Meter mit meinen Füßen und dem Rucksack auf dem Rücken laufen.
Die Barbesitzerin interessiert das momentan wenig. Sie telefoniert ohne Umschweife und ohne mein Okay sofort und macht mir ein Drei-Bett-Zimmer klar. Ob das das richtige für mich ist? Habe ich denn heute eine andere Wahl? Nein! Also lasse ich den Dingen ihren Lauf. Es wird schon alles so kommen wie ich es brauche. Ich
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