5. Die Rinucci Brüder: In Neapel verlor ich mein Herz
herumgeschnüffelt“, beschuldigte er sie wütend.
Verblüfft sah sie ihn an. Mit so einer Reaktion hatte sie nicht gerechnet. „Oh nein!“
„Lügen Sie mich nicht an!“
„Das tue ich nicht. Es ist meins.“
Mühsam richtete er sich auf und verließ das Bett. „Lassen Sie mich in Ruhe“, fuhr er sie an, als sie ihm helfen wollte.
Langsam durchquerte er den Raum, zog die oberste Schublade der Kommode auf und wühlte darin herum. Eigentlich hätte Polly sich über seinen unbeherrschten Ausbruch nicht zu wundern brauchen, denn sie wusste inzwischen, wie aufbrausend er sein konnte.
Schließlich hatte er gefunden, was er suchte, und stand wie erstarrt da. Dann drehte er sich um, kam mit einem Bild in der Hand zurück und ließ sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf das Bett sinken. Schweigend reichte er ihr ihre Aufnahme.
„Woher haben Sie die?“, fragte er rau.
„Sie hat sie mir gegeben.“
„Wer?“
„Meine Cousine Freda. Sie hat mir erzählt, dass Sie beide sich auf dem Jahrmarkt haben fotografieren lassen.“
„Freda?“
„Sie kennen sie unter dem Namen Sapphire.“
Sekundenlang betrachtete er Polly prüfend. „Lösen Sie Ihre Haare – bitte.“
Polly tat ihm den Gefallen.
Er schloss die Augen. „Jetzt ist mir klar, warum ich Sie mit ihr verwechselt habe“, flüsterte er. „So groß ist die Ähnlichkeit nicht. Freda war die Schönere von uns beiden.“
„Sie ist Ihre Cousine, sagten Sie?“
„Sie war es“, entgegnete sie sanft. „Sie lebt nicht mehr.“
4. KAPITEL
„Sie lebt nicht mehr“, wiederholte Ruggiero leise. „Nein, das haben Sie nicht gesagt, ich habe es mir eingebildet.“
„Es stimmt wirklich“, erwiderte Polly ruhig. „Sie ist vor einigen Wochen gestorben.“
Er wandte sich ab und drehte das Foto in den Fingern so lange hin und her, bis es zerknittert war. „Reden Sie weiter“, bat er sie schließlich ausdruckslos.
„Ihr Mädchenname war Freda Hanson – bis sie vor sechs Jahren George Ranley heiratete.“ „Sie war also schon gebunden, als ich ihr begegnet bin?“, fragte er leise.
„Ja.“
„War sie unglücklich? Oder hat sie ihren Mann nicht mehr gemocht?“
„Ich bezweifle, dass er ihre große Liebe war“, antwortete Polly. „Er war sehr reich und …“ „Moment“, unterbrach er sie. „Behaupten Sie jetzt nicht, sie hätte ihren Mann nur wegen des Geldes geheiratet. Das hätte sie nie getan, nicht die Frau, die ich kennengelernt habe.“
„Sie haben sie nicht richtig gekannt“, wandte Polly behutsam ein. „Sie hat Ihnen noch nicht einmal ihren Namen verraten. Sie hätten sie nie finden können, nachdem sie Sie verlassen hatte.“ „Wo war sie zu Hause?“
„In Yorkshire.“
„Was wissen Sie über unsere Beziehung?“
„Dass Sie und Freda sich in einer Hotelbar kennengelernt haben und zwei Wochen zusammen waren.“
„Okay, so kann man es ausdrücken“, antwortete er langsam. „Es war jedoch viel mehr. Wir waren uns auf den ersten Blick sympathisch. Ich habe sie angesehen und sie so sehr begehrt, dass ich befürchtet habe, sie würde es merken und die Flucht ergreifen. Doch sie war eine mutige Frau, die nichts erschrecken konnte. Sie hat das Leben geliebt und ist sogleich zu mir gekommen.“ Die Sehnsucht, die in seiner Stimme schwang, machte Polly traurig. Sie wusste, was hinter dem vermeintlichen Mut ihrer Cousine steckte. Freda hatte nicht lange gezögert, weil sie nicht viel Zeit gehabt hatte, um Ruggiero für sich zu gewinnen. Das war die harte, grausame Wahrheit. Es schmerzte, dass dieser offene, ehrliche Mann auf Fredas raffinierte Taktik hereingefallen war. „Ich erinnere mich, wie überrascht ich war, dass sie Engländerin war“, fuhr er fort. „Ich hatte immer angenommen, Engländerinnen seien zurückhaltend und etwas steif. Sie war anders. Sie hat mich geliebt, als wäre ich der einzige Mann auf der Welt.“
„Fanden Sie es nicht seltsam, dass sie Ihnen nicht ihren Familiennamen nennen wollte?“
„Das war zunächst nicht wichtig. Wir hätten später immer noch darüber reden können. Was sie mir gegeben hat, lässt sich nicht mit Worten ausdrücken. Jedenfalls hat sie mich zu einem anderen, einem besseren Menschen gemacht.“
Es klang schockierend einfach. Zögernd fragte Polly: „Was genau meinen Sie damit?“
Er legte sich die Hand auf die Brust. „Ich hatte mein Herz verschlossen, als Mann fühlt man sich dann sicherer.“
„Warum war das für Sie wichtig?“
„Das ist schwer zu sagen.
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