5. Die Rinucci Brüder: In Neapel verlor ich mein Herz
verschlug.
„Ich war neugierig auf Matthews Vater“, gab sie zu. „Ich habe den Jungen sehr gern und kann es kaum erwarten, ihn zu Ihnen zu bringen.“
„Ich will ihn nicht sehen“, erklärte er zu ihrem Entsetzen.
„Wie bitte?“
„Ich möchte mit ihm nichts zu tun haben. Warum konnten Sie die Sache nicht auf sich beruhen lassen?“
„Weil Matthew Ihr Sohn ist und er eine Familie braucht.“
„Er hat doch Sie.“
„Ich bin nicht seine Mutter, aber Sie sind sein Vater. Wollen Sie ihn wirklich nicht sehen?“ „Weshalb sollte ich das?“, fragte er scharf.
„Vor wenigen Stunden haben Sie mir noch vorgehalten, ich hätte Sie früher informieren müssen“, erinnerte sie ihn.
„Ja, als Ihre Cousine noch lebte. Dann hätte ich bei ihr sein können. Der Junge ist mir fremd, ich empfinde nichts für ihn.“
„Bedeutet es Ihnen denn nichts, dass Sie sein Vater sind?“
„Vielleicht hätte es mir etwas bedeutet, wenn sie es mir früher mitgeteilt hätte.“
„Matthew ist ein kleines Kind, das Liebe und Fürsorge braucht“, stellte sie ärgerlich fest.
„Wenn er mein Sohn ist, werde ich für ihn sorgen.“
„Sie wollen für ihn bezahlen, oder?“, fuhr sie ihn an. „Glauben Sie wirklich, das sei alles, was ein Vater für sein Kind tun kann?“
„Zu mehr bin ich nicht in der Lage. Ich empfinde keine väterlichen Gefühle für den Jungen. Meinen Sie, man könnte die wie auf Knopfdruck ein- und ausschalten?“, fragte er gereizt.
„Nein, natürlich nicht. Sie könnten aber versuchen, dem Kind etwas Liebe entgegenzubringen. Immerhin haben Sie seine Mutter einmal sehr geliebt.“
„Wenn sie nicht gestorben wäre, hätte ich nie erfahren, dass ich einen Sohn habe.“
„Warum versuchen Sie nicht, sie in guter Erinnerung zu behalten? Sie kann Sie nicht mehr verletzen.“ „Wirklich nicht?“ Ruggiero blickte Polly sekundenlang zornig an, fuhr aber dann ruhiger fort: „Die Toten verletzen einen manchmal mehr als die Lebenden, weil nichts mehr korrigiert werden kann. Man kann nicht hingehen und etwas erklären oder sich entschuldigen. Und auch die Wunden bleiben für immer. Wie soll ich sie in guter Erinnerung behalten nach allem, was sie mir angetan hat?“ „Sie hat Ihr Kind zur Welt gebracht, egal, was sie damit bezweckte“, erwiderte sie. „Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, Sie sind Matthews Vater.“
Einen Moment lang schwieg er. „Wem sieht er ähnlich?“, fragte er dann.
Polly zog ein Foto aus der Tasche und reichte es ihm. Wie kann jemand diesem kleinen achtzehn Monate alten Jungen mit dem dunklen Haar, Ruggieros Augen und dem strahlenden Lächeln widerstehen?, überlegte sie. Nach einem flüchtigen Blick auf das Bild gab er es ihr zurück. „Ich werde ihn nicht zu mir nehmen“, sagte er, „aber selbstverständlich für ihn sorgen und auch Sie finanziell unterstützen, solange Sie sich um ihn kümmern.“
„An einem Job als Kindermädchen bin ich nicht interessiert.“
„So war es auch nicht gemeint. Sie würden nicht einfach nur ein Gehalt bekommen, sondern hätten ein gutes Einkommen und könnten im Luxus leben.“
„Ach ja? Glauben Sie wirklich, es sei in Ordnung, sich auf diese Weise aus der Verantwortung zu stehlen?“
„Nein, natürlich nicht. Doch er kennt Sie und wünscht sich wahrscheinlich, bei Ihnen zu bleiben.“ „Was ich möchte, ist Ihnen offenbar egal. Ich würde gern wieder in meinem Beruf arbeiten“, entgegnete Polly. Sie hing an Matthew und würde sich nur ungern von ihm trennen. Wenn ihr das, was sie in Neapel vorgefunden hatte, missfallen hätte, wäre sie ohnehin sogleich zurückgeflogen, ohne mit Ruggiero zu reden.
Doch die Rinuccis entsprachen ihrer Vorstellung von einer perfekten Familie. Sie waren lebhaft, aufgeschlossen und gingen liebevoll miteinander um. Sie fand zwar, dass Ruggiero noch etwas an sich zu arbeiten hätte, doch Hope und Toni würden Matthew vermutlich sowieso unter ihre Fittiche nehmen, zumindest in der ersten Zeit. Und bei den vielen Onkeln, Tanten, Cousinen und Cousins würde der Junge sich bestimmt viel wohler fühlen als bei ihr.
„Warum lehnen Sie den Jungen ab?“, fragte sie. „Er ist Ihr Fleisch und Blut.“
„Meine Güte“, fuhr er sie an. „Sie überfallen mich mit der Nachricht, dass ich einen Sohn hätte von einer Frau, die mir noch nicht einmal ihren Namen verraten hat, und erwarten, dass ich auf Anhieb richtig reagiere.“
„Empfinden Sie denn nichts für ihn?“
„Nein“,
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