5. Die Rinucci Brüder: In Neapel verlor ich mein Herz
Jedenfalls war ich plötzlich bereit, etwas zu riskieren. Es hat mir sogar gefallen, über mich selbst zu lachen, was ich vorher nicht konnte. Von ihr hätte ich alles
angenommen.“
Gegen ihren Willen erinnerte Polly sich daran, dass Freda einmal amüsiert erklärt hatte: „Je härter sich die Männer geben, desto mehr Spaß macht es, sie gefügig zu machen.“
Mit einem Mal wurde Polly klar, dass Ruggiero verzweifelt an seiner Überzeugung festhielt. Wie würde er reagieren, wenn er die ganze Wahrheit erfuhr?
„Was ist geschehen, nachdem sie mich verlassen hat?“, fragte er.
Polly atmete tief ein. „Sie ist zu George zurückgegangen, und neun Monate später kam ihr Kind zur Welt.“
Fassungslos blickte er sie an. „Wollen Sie damit sagen …?“
„Ja, es ist Ihr Kind.“
Er richtete sich auf. „Wie können Sie das so genau wissen?“
„Es kann nicht von George sein.“
„Warum hat sie es mir nicht mitgeteilt? Warum ist sie nicht zu mir gekommen? Sie wusste, wo ich wohne und wie sehr ich sie …“ Er verstummte.
„Sie wollte bei ihrem Mann bleiben. Weil sie aber unbedingt hatte schwanger werden wollen, brauchte sie eine Affäre.“
Fassungslos blickte er sie an. „Nein, seien Sie still!“, forderte er sie dann scharf auf. „Wissen Sie überhaupt, was Sie da sagen?“
„Ja“, erwiderte sie mit einer Spur von Traurigkeit in der Stimme. „Sie hatte das alles geplant.“ „Sie unterstellen ihr also, kalt und berechnend gewesen zu sein?“
„Nein, keineswegs. Sie konnte auch warmherzig sein. Damals ist sie jedoch aus einem ganz bestimmten Grund nach London gekommen und hat Sie ganz bewusst ausgewählt.“
„Sie wissen nicht, was Sie da reden“, fuhr er sie an. „Sie haben keine Ahnung, was uns verbunden hat.“
Polly erinnerte sich, wie am Boden zerstört George gewesen war, als er die Wahrheit erfahren hatte. „Ich habe geglaubt, sie würde mich wirklich lieben“, hatte er gesagt. Nachdem er den Schock überwunden hatte, wurde er ausfallend und rachsüchtig. Damals war Polly bewusst geworden, wie viel Unheil Freda anrichtete. Sie hatte es glänzend verstanden, Männern Gefühle vorzuspielen und sie in sich verliebt zu machen.
„Hat ihr Mann geglaubt, es sei sein Kind?“, wollte Ruggiero wissen.
„Zuerst ja. Dann stellte sich jedoch zufällig heraus, dass er zeugungsunfähig war, und ihm kamen Zweifel. Also holte er einen Vaterschaftstest ein, der bewies, dass es nicht sein Kind war. Daraufhin hat er Freda mit dem Baby hinausgeworfen.“
„Wann war das?“
„Vor fast einem Jahr.“
„Warum ist sie nicht zu mir gekommen?“
Weil sie gehofft hat, George umstimmen zu können, dachte Polly. Sie brachte es jedoch nicht übers Herz, Ruggiero noch mehr zu verletzen und ihm die grausame Wahrheit zu sagen.
„Sie war krank und ganz dünn geworden“, erwiderte sie. „Sie hat bei mir gewohnt und wollte nicht, dass jemand sie in dem Zustand sah. Ich habe sie gepflegt, so gut ich konnte, doch es war hoffnungslos. Sie wurde nicht wieder gesund. Ich musste ihr schließlich versprechen, Sie nach ihrem Tod zu suchen und Ihnen zu erzählen, dass Sie einen Sohn haben.“
Schmerzerfüllt flüsterte er: „Sie ist gestorben, und ich war nicht bei ihr. Warum habe ich es nicht gespürt? Wir standen uns doch so nah.“
Polly schwieg. Sie wusste, dass Freda sich ihm nie verbunden gefühlt hatte.
„Sie hätten versuchen müssen, mit mir Kontakt aufzunehmen, als sie noch lebte“, erklärte er. „Wie denn? Sie wollte mir nicht verraten, wo ich Sie finden konnte. Ich wusste noch nicht einmal, dass Sie in Neapel leben. Es stand in dem Brief, den sie mir hinterlassen hat und der erst nach ihrem Tod geöffnet werden sollte. Darin hat sie die Villa Rinucci erwähnt.“
„Ich hätte mich um sie gekümmert.“
„Sie wollte Sie nicht sehen, weil sie nicht mehr so schön war.“
„Meinen Sie, das hätte mich gestört?“, stieß er ärgerlich hervor. „Ich hätte es noch nicht einmal gemerkt. Ich habe sie …“ Er verstummte und blickte Polly verstört an. „Es ist zu spät, viel zu spät.“ „Es tut mir leid“, wisperte sie und wollte seine Hand nehmen, doch er zog sie hastig zurück. „Gehen Sie bitte“, bat er gequält.
Polly stand auf und griff nach ihrem Foto, doch er kam ihr zuvor und sagte kurz angebunden: „Lassen Sie es hier.“
An der Tür drehte sie sich noch einmal kurz um. Er schien sie vergessen zu haben und betrachtete die beiden Bilder so aufmerksam, als versuchte
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