5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
sich eine Gänsehaut. Der Herbst ist meine Lieblingsjahreszeit: nicht zu heiß wie der Sommer, aber auch nicht so kalt wie der Winter. Außerdem sind die Farben einfach wunderschön.
Als ich hinter mir ein Kichern höre, drehe ich mich um und erblicke einen Jungen und ein Mädchen, eng umschlungen. Das Mädchen lächelt, während der Junge ihm etwas ins Ohr flüstert. Die beiden sind ungefähr in meinem Alter. Sie sehen glücklich aus. Sie sehen … verliebt aus, denke ich neidisch. So etwas hatte ich nie. So etwas werde ich nie haben.
Meine Brust wird eng und schmerzt, schnell drehe ich mich um. Ich weiß, dass Neid eine schlechte Eigenschaft ist, aber wenn ich das Glück anderer sehe, wird mir erst bewusst, wie unglücklich ich bin.
Ich hatte nie die Möglichkeit, mich in einen Jungen zu verlieben, hatte nie eine Wahl. Ich kenne Keenan schon immer, und ich habe immer gewusst, dass ich zu ihm gehöre. Und er hat es ebenso gewusst. Eigentlich wäre das auch wunderbar. Jeder Gestaltwandler wünscht sich einen Seelenverwandten, nur ist nicht für jeden einer vorherbestimmt. Und selbst wenn Keenan nicht meiner wäre, hätte ich mir ihn ausgesucht. Wieder und wieder. Er ist meine große Liebe. Er ist der Einzige für mich. Nicht nur, weil er stark, stolz und ehrenhaft ist, sondern auch, weil er trotz seiner kalten Art ein warmes Herz besitzt. Nur leider schlägt es nicht für mich.
Als ich fünfzehn war, dachte ich immer, er wartet. Schließlich ist Keenan sechs Jahre älter als ich. Es wäre nicht richtig gewesen, wenn ein Einundzwanzigjähriger etwas mit einem Teenager angefangen hätte. Als ich sechzehn und im Rudel als offiziell geschlechtsreif anerkannt wurde, erhob er Anspruch auf mich, damit auch jeder wusste, dass ich tabu war. Keiner sollte und soll mich anfassen. Doch er selbst tut es auch nicht.
Ich dachte, wenn ich älter werde, würde er mich endlich als Frau ansehen und auch so behandeln. Doch nichts da. Keenan hat seine Gefühle nicht zurückgehalten, er besitzt überhaupt keine für mich.
Bis vor einem halben Jahr habe ich es stillschweigend ertragen und mich damit zufriedengegeben, dass wir nur Freunde sind. Und wir waren wirklich gute Freunde. Doch dann hatte ich es satt und beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Ich nehme die Tasche vom Stuhl und will gerade durch die Tür verschwinden, als ich ein Räuspern höre. Ertappt drehe ich mich um: »Ja?«
»Du bist in letzter Zeit ziemlich oft bei Keenan. Und das immer spät abends. Muss ich mir Sorgen machen, Schätzchen?«, fragt Maria mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
Maria ist so etwas wie meine Mutter. Ich war vier, als sie mich, einen der wenigen überlebenden Geparden in Europa, fand und beschloss, mich bei sich aufzunehmen. Ich liebe Maria, doch trotzdem ist da eine Mauer zwischen uns. Das weiß ich, weil ich sie selbst errichtet habe. Ich bin ihr wirklich sehr dankbar, aber sie ist eben nicht meine biologische Mutter. Ich bin ein Gepard und sie ein Leopard. Für meine menschliche Seite ist sie meine Mum, doch meine Raubkatze hat sie nie ganz akzeptiert. Weil Maria weniger dominant ist als ich, hat der Gepard nicht wirklich Respekt vor ihr.
»Nein, das musst du nicht. Keenan hilft mir nur beim Lernen. Schließlich mache ich in drei Wochen mein Abitur.«
»Ja, natürlich. Ach Lana, ich bin doch keine alte Frau. Ich versteh schon, dass ihr jungen Leute euren Spaß haben wollt.« Maria ist sechsundfünfzig Jahre alt und ledig. Sie hatte nie einen Gefährten, und einen passenden Mann hat sie auch nie gefunden.
»Äh, okay, Mum. Ich muss jetzt los.« Schnell husche ich durch die Tür. Puh, geschafft, bevor es in einem Gespräch über Bienchen und Blümchen endet, denke ich erleichtert.
Ich laufe, bis ich an einen Fluss gelange. Dem folge ich zu einem kleinen Stamm, der über das Wasser führt. Auf der gegenüberliegenden Seite springe ich wieder herunter. Dann laufe ich noch ein Stückchen geradeaus, bis ich zu einem kleinen weißen Haus mit dunkelbraunen Fensterrahmen und dunkelrotem Dach komme. Ich hebe leicht den Kopf und wittere. Die Nacht und der Wald riechen frisch, doch darunter liegt ein viel verführerischer Geruch: Keenans. Dunkel, rau. Männlich.
Schnell gehe ich weiter, denn ich möchte bei ihm sein. Möchte sein Gesicht sehen und seiner Stimme lauschen, wenn er von seinem Tag erzählt.
Noch bevor ich an der Tür klopfen kann, geht sie auf und Keenan grinst mich an: »Ich habe Pizza.«
»Und ich habe den
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