5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
zwar nicht gebaut, aber selbst gestrichen und eingerichtet habe.
»Danke, dass du mich begleitet hast! Was hast du jetzt vor?«
»Ich werde zurückgehen und schauen, ob ich helfen kann.« Keenans Blick ist eisig, doch das ist er in letzter Zeit immer, wenn er mich ansieht, denke ich bitter. Ich bringe ein kleines Nicken zustande, drehe mich um und verschwinde im Haus.
Ich warte mit dem Rücken zur Haustür, bis ich höre, dass er verschwindet. Dann lasse ich mich zu Boden gleiten und weine.
2
»Na toll!«, sage ich mürrisch, während ich mich im Spiegel betrachte. Man sieht mir an, dass ich letzte Nacht nicht viel geschlafen habe. Meine Haare liegen platt am Kopf, die Augenringe ziehen sich übers ganze Gesicht, und meine aufgebissenen Lippen zeugen von Albträumen, die ich lieber vergessen würde.
Immer und immer wieder habe ich sie gesehen. Ich kann die Schnitte auf ihrer Haut nicht vergessen. Sie muss unvorstellbare Schmerzen gehabt haben. Gänsehaut breitet sich auf meiner Haut aus.
»Wer tut so etwas?«, frage ich mein Spiegelbild, das leider keine Antwort für mich hat. Der Schrecken von gestern sitzt mir immer noch im Nacken. Ich kann ihn nicht abschütteln, egal, wie sehr ich es versuche.
Steif schlüpfe ich in eine schwarze Jeanshose, ziehe ein cremefarbenes T-Shirt über, wasche mir das Gesicht, trage ein bisschen Make-up auf und sprühe mir Deo unter die Achseln. Dann schließe ich die Tür hinter mir und gehe nach unten in die kleine Küche. Ich mache mir eine heiße Schokolade und dazu ein Marmeladenbrot, lasse den süßen Geschmack auf der Zunge zergehen, während ich überlege, was heute alles ansteht.
Erst einmal zur Arbeit, danach Amanda abholen, und spät am Abend findet ein Rudeltreffen statt, das ich nicht verpassen darf. Rudeltreffen sind Pflicht, außer man hat eine Entschuldigung, die auch vor Elias’ Augen Gnade findet.
Ich schlinge den letzten Bissen des Brotes hinunter. Die Tasse ist schon leer. Gemächlich räume ich das Geschirr weg, schlüpfe in eine dunkelblaue Jacke und verlasse das Haus, um das Auto aus der Garage zu holen.
Als ich um die Ecke gehe, sehe ich ihn. Locker lehnt er an der Garagenwand, den Kopf leicht in den Nacken gelegt, die Nasenlöcher geweitet. Er wittert, überprüft die Gerüche. Damit kontrolliert er, dass sich mir auch ja kein Männchen genähert hat. Er denkt, ich weiß nicht, dass er das tut, aber ich habe schon vor einem Jahr entdeckt, dass er regelmäßig vorbeikommt und sein Revier markiert.
Keenan ist sehr besitzergreifend und eifersüchtig. Er will mich zwar nicht als seine Gefährtin akzeptieren, aber genauso wenig will er, dass ein anderer mich bekommt.
»Morgen, Keenan!«, begrüße ich ihn und gähne. Früher habe ich mich über diese Geste sehr gefreut, doch mittlerweile bin ich davon gelangweilt.
»Morgen! Du siehst nicht gut aus«, stellt er kurz und bündig fest.
»Danke! Ich freue mich auch echt wahnsinnig, dich zu sehen«, erwidere ich und werfe ihm einen bösen Blick zu.
»So war das doch nicht gemeint … «
»Vergiss es einfach, Keenan! Ich weiß, wie es gemeint war.« Meine Stimme klingt genauso gereizt, wie meine Stimmung ist. Langsam bücke ich mich, um das Garagentor aufzuschließen, schiebe es nach oben und sperre mein Auto per Knopfdruck auf.
»Also, was willst du?«
»Ich wollte dich fragen, ob ich mit in die Stadt fahren kann.«
»Was willst du denn schon so früh in der Stadt?« Ich antworte mit einer Gegenfrage.
»Besorgungen machen. Also?«
»Ja, meinetwegen.« Ich will gerade einsteigen, als Keenan mich am Arm festhält. Verwirrt drehe ich mich um und sehe ihn an. Gott, er ist so schön! Mit seinen ein Meter fünfundachtzig ist er einen Kopf größer als ich . Und der muskulöse Oberkörper – einfach zum Anbeißen.
»Ich fahre.«
Überrascht ziehe ich die Augenbrauen nach oben. Meine Stimme trieft vor Sarkasmus: »Ähm, lass mich mal überlegen: Nein!« Wieder will ich mich umdrehen, um einzusteigen, als sein Griff an meiner Hand fester wird und mich damit aus dem Gleichgewicht bringt. Bevor ich aber auf den Boden knalle, fängt Keenan mich mit Armen und Oberkörper ab.
»Was sollte das jetzt bitte?!« Ich sehe ihn fassungslos an.
»Ich dachte nicht, dass du … so leicht umzuwerfen bist.« Er klingt verunsichert. Fast schuldbewusst. Es ist wohl wirklich nicht seine Absicht gewesen, mir wehzutun. Ruhig rapple ich mich wieder auf, indem ich mich an seiner Brust abstütze. Dann sehe ich ihn an, um etwas
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