5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
Stoff«, antworte ich mit einem breiten Lächeln. Natürlich habe ich nur den Mathematikstoff dabei.
Ich gehe an Keenan vorbei ins Haus und setze mich, nachdem ich Jacke und Schuhe ausgezogen habe, auf die Couch. Ich bin gerne hier. Das ganze Haus ist mit ruhigen Farben wie Braun und Blau eingerichtet. Es ist gemütlich, es riecht nach Zuhause, nach Keenan.
Dieser kommt gerade aus der Küche mit einem Glas Apfelsaft für mich und einer Flasche Bier für sich. Dann verschwindet er noch einmal und kommt mit zwei Tellern, auf denen zwei Pizzen liegen, wieder zurück.
»Schinken, Champignons. Meine Lieblingspizza«, sage ich ihm schmatzend.
»Weiß ich doch.« Seine Antwort klingt, als wäre es selbstverständlich.
Eine Stunde lang sitzen wir uns gegenüber, während er mir Fragen stellt, die ich versuche zu beantworten. Meine Augen hängen an seinen Lippen, wenn er eine Frage vorliest. Es ist ein schmaler Mund, aber ein so sinnlicher. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren.
»Lana?« Als ich meinen Namen höre, schrecke ich hoch und blicke in Keenans Augen, die die Farbe von dunkler Schokolade haben.
»Ähm, Entschuldigung. Ich krieg schon Kopfweh vom vielen Lernen. Ich fülle nur schnell mein Glas auf.« Ich spüre, wie Blut in meine Wangen fließt, und husche in die Küche, um einmal tief Luft zu holen. Danach drehe ich den Wasserhahn auf und lasse das Leitungswasser in mein Glas. Nachdem ich einen Schluck getrunken habe, gehe ich zurück ins Wohnzimmer.
Keenan hat mein Schulzeug auf den Tisch gepackt und den Fernseher angemacht. Er sieht mich an und sagt: »Ich dachte, wir machen mal eine kleine Pause.«
»Gute Idee. Was läuft?«
»Spider-Man 6. Oder willst du etwas anderes schauen?«
»Nein. Spider-Man ist in Ordnung.«
Ich setze mich wieder auf das Sofa, schaue still auf den Bildschirm.
»Du hast ja Gänsehaut. Ich hole dir schnell eine Decke.« Er steht auf und verschwindet im hinteren Teil des Hauses. Wenn er wüsste, woher diese Gänsehaut rührt, wäre er nicht aufgestanden, um eine Decke zu holen.
Keenans Haus besteht nur aus einem Erdgeschoss. Trotzdem ist es geräumiger als meine Hütte. Mit einer ausgebreiteten Decke in den Händen kommt er wieder herein. Sein Gang ist fließend. Selbst als Mensch wirkt er beim Gehen wie eine Raubkatze: gefährlich, elegant und jederzeit bereit, jemanden in Fetzen zu reißen. Mein Unterleib spannt sich an, und das gewohnte Kribbeln im Bauch kehrt zurück.
Vorsichtig bückt er sich über mich und deckt mich zu. Sein Gesicht ist nur ein paar Zentimeter von meinem entfernt. Sein Atem streift über meine Wange, und wir sehen uns in die Augen. Das ist einer dieser Momente, in denen ich mich selbst vergesse. Keenan hält ganz still. Wir verharren.
So ist es immer. Er verharrt einen kurzen Augenblick, dann zieht er sich wieder zurück. Normalerweise lasse ich das auch zu. Aber … dieses Mal nicht.
Ich recke ihm den Kopf entgegen und küsse ihn. Kralle die Hände in seine Haare und ziehe ihn zu mir heran. Erst bewegt er sich nicht, doch dann schließt er seine Hände um meine Hüfte und öffnet meinen Mund. Sein Zungenkuss ist feurig. Meine Haut spannt überall, und das Ziehen im Unterleib wird stärker. Gerade will ich meine Beine um sein Becken legen, als Keenan mich nach unten drückt, von sich weg. Verwirrt sehe ich ihn an. In seinem Gesicht steht pures Entsetzen.
»Was … ?«, frage ich und merke, dass meine Stimme zittert.
Keenans Stimme ist kalt, als er nach einer Ewigkeit antwortet: »Mach das nie wieder.«
Ich will etwas sagen, schließe den Mund jedoch wieder. Einen Moment sehen wir uns schweigend an, dann dreht er sich um und verlässt das Haus. Hastig stehe ich auf und folge ihm, um gerade noch zu sehen, wie er sich wandelt und im Wald verschwindet.
Mit den Tränen kämpfend starre ich auf die Stelle zwischen den Bäumen, wo ich ihn zuletzt gesehen habe. Dann gehe ich ins Haus zurück, räume den Tisch ab, falte die Decke zusammen, schalte den Fernseher aus und packe meine Sachen zusammen. Am Schluss mache ich das Licht aus. Als ich im Dunkeln stehe, laufen mir die Tränen, die ich so lange zurückgehalten habe, übers Gesicht.
Der Glockenschlag der Kirchenuhr schreckt mich aus meinen Gedanken. Ich schaue auf meinem Handy nach der Uhrzeit. Es ist Viertel vor eins, in einer Viertelstunde muss ich wieder in der Buchhandlung sein. Steif erhebe ich mich, klopfe mir den Hintern ab und laufe zurück. Kurz vor Pausenende bin ich dort und hänge
Weitere Kostenlose Bücher