5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
meine Jacke wieder in den Personalraum.
Auch wenn ich meine Arbeit mag, ist mir oft langweilig. Meist sind wir zu sechst: drei an den Kassen, der Chef, der das Lager betreut, und zwei, die die Kunden beraten und, falls nötig, jemanden an der Kasse ablösen. Fast alle Mitarbeiter sind über fünfzig, was es schwer macht, ein gemeinsames Thema zu finden. Die Einzige in meinem Alter ist Nina. Sie hat vor zwei Jahren hier ihre Ausbildung fertig gemacht. Leider ist sie eine blöde Zicke. Deshalb nützt es mir auch nichts, dass sie jünger ist.
»Frau Ludwig! Träumen Sie schon wieder?«, höre ich eine vertraute Stimme sagen.
Lächelnd drehe ich mich um: »Maggie. Normalerweise arbeitest du doch erst morgen.« Maggie ist fünfundvierzig und meine einzige Freundin hier. Leider sehe ich sie nur donnerstags, denn Dienstag und Mittwoch, wenn sie arbeitet, habe ich Berufsschule.
»Ich vertrete Frau Zimmermann. Und erzähl, gibt’s was Neues, Schätzchen?«
Einen kurzen Moment denke ich darüber nach, Maggie von dem toten Mädchen zu erzählen, halte aber dann doch lieber den Mund.
»Nein. Und bei dir? Alles beim Alten?«
»Henry hat gestern für mich gekocht. Italienisch natürlich. Oh, ich liebe diesen Mann einfach.«
»Das freut mich für dich.« Henry und Maggie sind schon seit sechsundzwanzig Jahren verheiratet. Henry ist Maggies erste große Liebe.
»Ich erzähle dir alle Einzelheiten. Also zuerst … «
»Frau Marta, die Kasse ist unterbesetzt, kommen Sie bitte«, ruft Herr Ford die Treppe herauf.
»Ja, natürlich, Herr Ford«, antwortet sie sogleich. »Ich erzähl es dir ein andermal.«
Ich nicke und grinse. Maggie ist so eine liebenswürdige Person und im Kopf zwanzig Jahre jünger, als sie tatsächlich ist. Ich habe sie gern, es macht Spaß, sich mit ihr über Männer und darüber, welche Plagen und Freuden sie mit sich bringen, zu unterhalten.
Den Rest des Tages verbringe ich an der Information, um Kunden bei der Suche nach einem bestimmten Buch weiterzuhelfen, doch heute ist leider nicht viel los, und so vergeht der Tag nur langsam. Schließlich kann ich dann aber doch in mein Auto steigen und fahre nach Hause. Während mein Abendessen auf dem Herd vor sich hin köchelt, dusche ich und schlüpfe in eine bequeme schwarze Jogginghose. Ich beeile mich mit dem Essen, denn ich will noch Amanda abholen. Wir fahren immer gemeinsam zu den Rudeltreffen. Amanda ist so etwas wie eine Cousine. Da Maria ihre Tante ist und ich so etwas wie ihre Tochter, ist Amanda nicht nur meine beste Freundin, sondern auch fast wie eine Verwandte.
Ich halte vor ihrem knallig gelben Haus, stelle den Motor ab, ziehe den Schlüssel heraus und die Handbremse an. Müde vom Tag steige ich aus und gehe ins Haus – ohne anzuklopfen selbstverständlich. Amandas Haus ist mein zweites Zuhause. Außerdem haben alle Gestaltwandler ein gutes Gehör, sie weiß schon seit einer geraumen Weile, dass ich mich ihrer Hütte nähere.
Als ich zur Küche gehe, in der ich es rattern höre, schlägt mir ein süßer Geruch entgegen: »Du hast doch nicht extra wegen mir einen Kuchen gebacken?«
»Hallo, Cousinchen. Nein, der Kuchen ist nicht für dich. Und nein, du darfst auch nicht davon naschen.«
»Warum bäckst du ihn dann überhaupt?« Ich mache einen Schmollmund und warte, bis Amanda mich ansieht, um meinen beleidigten Blick zu sehen.
»Vergiss es, Lana«, sagt sie und zieht mich in ihre Arme. Amanda ist eine große, langbeinige Blondine mit moosgrünen Augen und eine der dominanten Raubkatzen im Rudel. Also das genaue Gegenteil von mir.
»Für wen ist der Kuchen denn dann?«, frage ich neugierig, während ich mich von ihr löse und schnuppernd in Richtung Ofen gehe: »Oh, der ist ja mit Schokoladenstückchen.« Mit gespielt böser Miene sehe ich sie an.
»Er ist für Kevin.« Amandas Wangen färben sich leicht rot, als sie seinen Namen sagt. Kevin ist Amandas Freund. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und damit einer der wichtigsten Geldverdiener im Rudel. Unter der Woche schläft er in der Stadt, doch am Wochenende kommt er nach Hause, um bei Amanda zu sein und im Wald als Leopard herumzustreunen. Kevin ist ein sympathischer Neunundzwanzigjähriger, der bei den Frauen sehr beliebt ist – auch wenn es für ihn nur eine Frau gibt. Er und Amanda sind zwar nicht seelenverwandt, passen aber gut zusammen. Er tut ihr gut. Er macht sie glücklich.
»Wieso bekommt er einen Kuchen und ich nicht?«
»Weil wir morgen unser Einjähriges haben
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