5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
legt auch er die Arme um mich, hebt mich hoch und trägt mich ins Haus.
Nachdem ich geduscht habe, sitze ich eingewickelt in ein großes flauschiges Handtuch vor Simons Kamin. Ich habe ihm alles über die Männer im Wald erzählt. Er wollte sofort zu Elias gehen, um alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Doch ich war nicht in der Lage dazu. Nicht dazu bereit, es noch einmal zu erzählen, und nicht bereit, Keenan zu sehen.
Zu Simon habe ich das natürlich nicht gesagt. Er hat auch so gleich verstanden, dass es mir nicht gut geht. Also hat er Elias angerufen und den Kriegern Bescheid gegeben, während ich in der Dusche war.
»Sie durchsuchen gerade das ganze Gebiet. Aber Elias konnte Keenan nicht erreichen.«
»Ich glaube nicht, dass sie so dumm sind, sich erwischen zu lassen«, sage ich mutlos und füge hinzu: »Du solltest ihnen helfen. Deine Nase ist dabei bestimmt sehr hilfreich.« Ich bringe ein kleines Lächeln zustande und schenke es ihm.
»Das hatte ich auch vor. Aber ich wollte noch warten, bis du dich ein bisschen erholt hast.«
Ich wische mir mit dem Handrücken über die laufende Nase und stehe auf. »Es geht schon wieder.«
»Sicher?«
»Ja, sicher. Ich ziehe mich nur schnell an. Dann kannst du endlich den anderen helfen und etwas Sinnvolleres tun, als auf mich aufzupassen.«
Ich gehe ins Bad und schließe die Tür ab. Dann streife ich das Handtuch ab und sehe mich im Spiegel an, wie ich blass und stocksteif dastehe. Mein Körper ist weiß, fast wie die Körper der toten Mädchen. Sachte streichle ich über meinen Bauch und merke erst jetzt, wie flau er sich anfühlt. Meine blauen Augen sind heute heller als sonst. Glitzern in den Strahlen der Deckenbeleuchtung wie Eis. Unheimlich und leer. Dafür haben meine dunkelbraunen Haare so viel Leben in sich wie sonst nie. Dicht und üppig wellen sie sich um meinen Kopf. Eine Löwenmähne für ein Kätzchen.
Ich schlüpfe in meine helle Jeans und mache meinen BH zu. Danach ziehe ich mir noch mein T-Shirt über den Kopf und streife es über meinen Bauch. Dabei klingelt mein Bauchnabelpiercing wie ein helles Glöckchen und vertreibt die Stille. Das beruhigt mich ein wenig. Schnell binde ich mir noch die Haare zusammen, bevor ich aus dem Bad gehe.
Simon hat sich auch schon angezogen und wartet bereits auf mich an der Tür.
»Entschuldige, dass ich so langsam bin.«
»Kein Problem. Frauen brauchen im Bad immer länger«, entgegnet Simon und lächelt mich an. Und ich lächle zurück, wie ich kurz darauf verwundert bemerke.
Simon hält mir die Tür auf, und ich schlüpfe unter seinem erhobenen Arm hindurch ins Freie.
Der Wald ist in einen schwarzen Umhang gehüllt. Meine Sicht passt sich sofort an, und ich sehe alles klar und deutlich, als wäre es Tag.
Ich und Simon gehen noch gemeinsam ein kleines Stück zusammen, bevor wir an die Stelle gelangen, an der jeder in eine andere Richtung muss.
»Soll ich dich wirklich nicht nach Hause bringen?«, fragt Simon mich. Diesmal ist sein Gesicht ernst.
»Nein. Ich bin ein großes Mädchen. Ich schaff das schon.« Ich grinse ihn an, auch wenn mir überhaupt nicht danach zumute ist.
Simons Gesicht verändert sich und er rümpft die Nase. Er muss wohl irgendetwas riechen, das für mich zu weit weg ist.
»Danke für alles, Simon«, sage ich, obwohl er im Moment abgelenkt scheint.
Nun sieht er mich wieder an und sagt: »Kein Problem. Ich habe ja überhaupt nichts gemacht.«
»Doch.« Ich umarme ihn. Eigentlich halte ich zwischen uns eine gewisse Distanz aufrecht, doch ich habe jetzt keine Lust, gegen Simons Charme und seine Wärme anzukämpfen. »Du warst da.«
Auch Simon hält mich fest. Drückt mich fest an seine Brust. Ich atme tief ein. Genieße seinen Geruch, der mir ein Gefühl von Sicherheit gibt, und drücke mich noch enger an ihn. Ein seltsames Gefühl breitet sich in meiner Brust aus. Sehnsucht. Die Einsamkeit, die ich seit Jahren in meinem Herzen mit mir herumtrage, verschwindet für einen Moment und weicht dieser allumfassenden Wärme.
»Lana?«, höre ich Simon in mein Ohr flüstern, und sein Atem streichelt durch meine empfindlichen Haare. Wir lösen uns ganz langsam voneinander. Bleiben aber so umschlungen miteinander stehen.
Ich sehe ihm tief in die Augen und erkenne, dass es nicht Keenan ist. Die Wärme verschwindet. Die Leere breitet sich wieder aus, und der Schmerz kommt zurück.
Entschlossen schließe ich die Augen und beuge mich vor. Ich werde mich von Keenan nicht kaput tmachen lassen.
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