5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
wo Keenan mich aufs Bett wirft.
Keenans geht vor mir auf und ab, den Blick fest auf mich gerichtet, laut schnaufend und knurrend. Auch ich atme nicht leise. Ich weiß, dass ich vor Keenan keine Angst zu haben brauche. Selbst wenn er wollte, könnte er mir nie etwas tun. Doch im Moment ist er nicht er selbst.
»Keenan … «, setze ich an, werde aber durch ein lautes Knurren unterbrochen. Nervös wackle ich mit dem Fuß und löse schließlich doch meinen Blick von ihm, um mich umzusehen. Schließlich war ich noch nie in seinem Schlafzimmer. Und ich habe ja ohnehin nichts Besseres zu tun, denke ich mit einem Anflug von Sarkasmus.
Sein Schlafzimmer ist groß, wohl das größte Zimmer im Haus. Es ist ganz mit Möbeln aus hellem Holz eingerichtet. Die Bettdecken und Kissen sind hellblau und sein Kleiderschrank ziemlich klein, er passt in die Zimmerecke. Vom Boden erheben sich viele Holzbalken – Spielzeug für den Leoparden in Keenan, das erkenne ich schnell. Über das Holz ziehen sich viele Kratzer, auch der Geruch, der an ihnen haftet, ist hauptsächlich tierischer Natur.
Obwohl das auch von dem wütenden Mann kommen kann, der immer noch seine Runden dreht.
An die Wände sind Bilder gepinnt, viele Bilder. Alle selbstgemalt. Ich wusste, dass Keenan gern zeichnet, aber nicht, dass er so gut ist. Bisher durfte ich seine Bilder nicht sehen, und jetzt weiß ich auch, warum.
Mehr als die Hälfte seiner Bilder zeigen mich.
Wie hypnotisiert stehe ich auf und gehe auf die größte Zeichnung in der Nähe seines Bettes zu. Fasziniert streiche ich über die glatte Oberfläche des Blattes und sehe meinem Ebenbild ins Gesicht. Das Bild ist schwarzweiß und doch lebendiger, als ich es manchmal bin. Jedes Körperteil ist bis ins kleinste Detail genau erfasst, jedes Haar, jede Sommersprosse, jede Vertiefung meiner Haut. Ich sehe anmutig und stolz aus. Wunderschön. Sieht er mich wirklich so?
Und nun verstehe ich endlich. Verstehe, warum Keenan mich so sehr hasst. Nicht einmal seine Leidenschaft kann er ausleben, ohne dass ich dazwischenfunke. Unsere Prägung aufeinander hat ihm jeden freien Willen genommen. Jede Wahl.
Hinter mir knurrt es. Schon lange nicht mehr so laut und wütend wie vorher, aber trotzdem noch furchteinflößend.
10
»Es tut mir leid«, flüstere ich. Eine heiße Träne läuft mir übers Gesicht. Schnell wische ich sie weg und schaffe es endlich, mich wieder zu ihm umzudrehen. Keenans Verwandlung ist etwas zurückgegangen. Die Haare auf seinen Armen haben wieder ihre normale Länge, und seine Haltung ist auch wieder aufrechter.
Vorsichtig gehe ich ein paar Schritte auf Keenan zu und will mich noch einmal entschuldigen, als dieser mir laut schreiend ins Wort fällt.
Auch ich fange an zu schreien. Knurre, weil es mir reicht. Weil ich müde bin und mich hilflos und alleine fühle. Doch irgendwann gebe ich auf und lasse ihn alleine weiterbrüllen. Zielstrebig gehe ich an ihm vorbei auf die Tür zu. Doch das ist ein Fehler.
In Sekundenschnelle reißt Keenan mich herum und drückt mich mit dem ganzen Körper gegen einen Balken. Ich strample und trete. Meine Katze faucht. Festgehalten zu werden gefällt ihr überhaupt nicht.
Je wütender ich werde, desto ruhiger wird Keenan. Seine Pupillen sind zwar immer noch schlitzförmig, doch alles andere verwandelt sich zurück. Auch seine menschliche Stimme kehrt zurück, und ich höre das angestrengte Atmen eines wütenden Mannes.
Auch ich werde still. Lausche unserem Keuchen. Keenan legt seine Stirn an meine und schließt die Augen. Als er tief Luft holt, bemerke ich das verräterische Zucken seiner Nase. Er saugt nicht nur Sauerstoff in seine Lunge, er nimmt auch meinen Geruch auf. Dann öffnet er die Augen und sieht mich an. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie solche Verzweiflung gesehen.
Und dann küsst Keenan mich. Roh und wild.
Anfangs verharre ich, zu erschrocken, um irgendetwas zu tun. Sein Mund presst sich immer wieder hart auf meinen und seine Zunge öffnet meine Lippen. Ich lasse es zu. Genieße den Moment der körperlichen Nähe. Mein Unterleib spannt sich an. Mein Bauch fängt an zu kribbeln, und meine Arme schließen sich wie von selbst um seinen Nacken. Gierig ziehe ich ihn noch näher zu mir herunter und kralle meine Finger grob in seinen Hals. Mir ist, als würde meine Haut zu eng für mich, und jede Stelle, an der er mich berührt, fängt an zu brennen. Ich fange an, leise zu schnurren. Auch Keenan knurrt mit tiefer Stimme, und sofort
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