5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
übergab er ihr die Blüte, die Corrie an ihre Nase hielt, um ihren Duft einzuatmen.
»Sie kommen mir bekannt vor«, sagte Corrie mit einem Stirnrunzeln, als sie versuchte, sich daran zu erinnern, woher sie die Blumen kannte. Sie wuchsen nicht in ihrem Garten, dessen war sie sich sicher.
»Ästiger Affodill.«
Mit hochgezogenen Brauen sah sie Aides an.
»Du weißt, wie sie heißen?«
»Das überrascht dich? Oh, ich vergaß: Blumen sind nichts für Männer«, neckte er sie, und Corrie spürte, wie sie unter seinem Blick errötete. Erneut hielt sie die Blume vor ihr Gesicht, dieses Mal jedoch, um ihre Verlegenheit zu verstecken.
»Tu das nicht«, bat Aides und berührte leicht ihren Arm, um ihre Hand von ihrem Gesicht herabzuziehen.
»Tu was nicht?«
»Dich verstecken.«
Corrie sah ihn schweigend an. Wie kam es, dass er sie so leicht lesen konnte? Als sie in seine Augen blickte, war da wieder dieses Gefühl der Vertrautheit, das sie schon beim ersten Mal gespürt hatte. Sollte sie ihn wirklich nicht vor ihrem Unfall gekannt haben?
»Wusstest du, dass die Griechen glaubten, die Toten würden sich von dieser Blume ernähren? Sie nannten sie Asphodelen und weihten sie der Göttin des Totenreiches: Persephone.«
Corrie kam es so vor, als warte Aides darauf, dass ihr diese Information etwas sagte. Doch sie konnte sich nicht daran erinnern, je davon gehört zu haben. Sie legte den Kopf zur Seite und zwang sich, ihren Blick von Aides zu lösen und die Blumenwiese zu betrachten.
»Die Toten ernähren sich von Blumen? Das klingt so gar nicht nach Tod und Verderben. Ist die Welt der Toten bei den Griechen denn nicht ein trauriger und düstrer Ort?«
»Überhaupt nicht«, erklärte Aides bereitwillig. »Natürlich gab es einen Platz für diejenigen, die die Hölle, wie man sie heute nennt, verdienten. Aber ebenso gab es Elysion, ein Paradies, schöner als alles, was man sich vorstellen kann.«
»Schöner als diese Wiese?« Corrie unterdrückte ein Schmunzeln. Sie hätte nicht gedacht, dass das Thema Aides so interessieren könnte, doch seine Stimme hatte geradezu einen verträumten Ausdruck, als er von der Totenwelt sprach. Es gefiel ihr, ihm bei seiner Beschreibung zuzuhören.
»Eine Wiese wie diese hier gibt es im Asphodeliengrund, dem Teil der Unterwelt, in der diejenigen die Ewigkeit verbringen, die weder besonders gut noch besonders schlecht waren.«
Corrie seufzte und ging langsam weiter den Weg entlang. »Das hört sich so an, als wäre der Tod nichts, wovor man sich fürchten müsste. Solange man nichts angestellt hat, natürlich.«
»Hast du Angst? Vor dem Tod?«
Corrie wollte schon erwidern, dass sie natürlich Angst davor hatte, zu sterben. Doch dann schloss sie ihren Mund wieder und dachte einen Moment lang nach. Hatte sie wirklich Angst vor dem Tod?
»Nein«, entschied sie schließlich und schüttelte leicht den Kopf. Als sie zu Aides sah, bemerkte sie sein Lächeln.
»Was? Ist daran etwas lustig?«
Aides schüttelte schnell den Kopf und lachte leise. »Nein, nein, es ist nicht lustig. Nur faszinierend. Das heißt, du bist faszinierend.«
Um eine Antwort verlegen, wandte Corrie sich hastig wieder um, und die beiden gingen weiter schweigend über die Wege.
***
Hades musste seinen ganzen Willen aufbringen, um Persephone nicht die Wahrheit zu sagen. Mit jeder Sekunde, die er in ihrer Gegenwart verbrachte, kam es ihm nur noch unerträglicher vor, sie nicht in die Arme zu nehmen und mit ihr nach Hause zurückzukehren.
Nur eines tröstete ihn über die Zeit hinweg, die er zu warten hatte: Was auch immer Demeter sich durch die Entführung ihrer Tochter und das Auslöschen ihrer Gedanken versprochen hatte, sie hatte Persephones Wesen nicht zerstört. Ob sie seine Liebste nun wieder Kore – oder Corrie – nannte und ihr ihre Göttlichkeit verschwieg oder nicht, seine Persephone war noch immer dieselbe.
Psyches Ratschlag folgend, hatte er sich eine Wohnung in der Menschenstadt genommen, in die er Persephone – oder Corrie – nach dem gemeinsamen Spaziergang im Park eingeladen hatte. Und sie hatte zugestimmt. Diese Art zu werben, die Eros’ Frau ihm nahegelegt hatte, kam ihm mehr als merkwürdig vor. Wieso er Persephone nicht einfach sagen sollte, was er für sie empfand, war ihm ein Rätsel. Aber Psyche war in diesem Punkt unnachgiebig gewesen und schien überzeugt, dass ein solches Vorgehen Persephone verschrecken würde. Nun, da Corrie jedoch zugestimmt hatte, ihn nach Hause zu begleiten,
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