5 STERNE FÜR DIE LEIDENSCHAFT
Moment wurde Bella klar, dass auch Charlotte tief verletzt sein musste. David Hudson war sicher kein besonders guter Vater gewesen, er hatte immer zu viel zu tun gehabt, um sich ausgiebig mit Charlotte oder ihrem Bruder zu beschäftigen. Aber dennoch war er ihr Vater. Es war einfach furchtbar, wie er durch seine Untreue die gesamte Familie erschüttert hatte.
Bella ärgerte sich über sich selbst, dass sie nur an ihren eigenen Kummer gedacht hatte. Auch Charlotte brauchte Trost. Daher ergriff sie ihre Hand.
„Ich habe dich vorher geliebt, und ich liebe dich auch jetzt noch.“ Das war nicht nur so dahingesagt, es war die Wahrheit.
Der Einzige, auf den sie wirklich wütend war, war ihr gemeinsamer Vater David. Es war ein merkwürdiger Gedanke, dass sie ohne ihn nicht existieren würde, doch gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dass er ihr ihren wirklichen Vater weggenommen hatte – Markus, den Mann, der sie großgezogen hatte, der sie verwöhnt hatte, den Mann, dem genau wie ihr jahrelang etwas vorgemacht worden war.
Bis das ganze schmutzige Geheimnis am Ende offenbart worden war.
Es gelang ihr kaum noch, die Tränen zurückzuhalten. Sie nahm eine Serviette vom Frühstückstisch und tupfte sich die Augen damit ab. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, wegen dieser Geschichte nicht mehr zu weinen. Nur nicht mehr in Selbstmitleid zerfließen, lieber nach vorne sehen, ermahnte sie sich. „Es tut mir leid. Ja, du hast recht, ich wollte dir aus dem Weg gehen. Ich wusste wirklich nicht, ob ich überhaupt mit irgendjemandem darüber reden könnte, ohne in Tränen auszubrechen.“
Dennoch war es ihr gelungen, Sam die ganze schmutzige Geschichte zu erzählen. Sie dachte zurück an die Nacht mit Erdbeeren und Champagner, konnte beides förmlich noch immer schmecken.
Charlotte hielt Bellas Hand fest. „Es wird wohl eine ganze Weile dauern, bis wir uns an die neuen Familienverhältnisse gewöhnt haben.“
War es denn falsch, sich die alten Familienverhältnisse zurückzuwünschen? War es falsch, wütend auf David zu sein – schon allein, weil er Markus so Schlimmes angetan hatte? Aber Wut machte nur verbittert und hässlich. Bella wünschte sich, sie könnte sich von Charlottes Gelassenheit und Gleichmut eine Scheibe abschneiden.
„Da hast du wohl recht“, stimmte Bella ihr zu und wechselte schnell das Thema. „Wie geht es dir denn so? Läuft mit der Schwangerschaft alles glatt?“
„Superglatt. Ich sehe zwar aus wie ein gestrandeter Wal, aber ich bin überglücklich.“ Dieses Glück sah man ihr an. „Alec verwöhnt mich, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Er sagt sogar, dass die Schwangerschaft mich sexy macht.“ Sie verdrehte die Augen. „Ich lache dann immer, aber seine Worte tun mir wirklich gut. Ich muss dir nämlich gestehen, dass es mir eine Zeitlang schwerfiel, ihm zu vertrauen. Ich musste immer daran denken, wie unser Vater meine Mutter behandelt hat.“
Jedes Mal, wenn Charlotte das Wort „Vater“ in den Mund nahm, zuckte Bella unwillkürlich zusammen. Würde sie es je fertigbringen, ihn als Vater zu sehen? Immer hatte sie gedacht, sie hätte ihre blauen Augen von ihrer Mutter geerbt. Aber jetzt brauchte sie nur in Charlottes ebenfalls blaue Augen zu sehen, um zu erkennen, wem sie ihre Augenfarbe wirklich verdankte.
David Hudson.
Wieder war sie den Tränen nahe, aber sie hielt sich zurück. Mitleid von Charlotte konnte sie jetzt wirklich nicht brauchen, das würde sie nur noch mehr frustrieren. Dieser verflixte Sam – dass er sie in diese Situation gebracht hatte, bevor sie dafür bereit war!, fluchte sie im Stillen. „Es war unheimlich nett von dir, dass du gekommen bist, um nach mir zu sehen. Egal, was geschehen ist … wir sind eine Familie.“
„Schön, dass du das sagst.“ Diesmal war Charlotte kurz davor, zu weinen. „Ich hatte große Angst, dass es zwischen uns nicht mehr wie früher sein würde.“
„Wir kommen schon klar. Wir halten immer zusammen.“ Bella war sich allerdings nicht so sicher, ob das auch für den Rest der Familie galt.
„Also kommst du zu Alec und mir aufs Schloss?“
Um mit anzusehen, wie ihre Halbschwester vor Eheglück und Vorfreude auf das Baby fast platzte?
Das kam überhaupt nicht infrage.
Trotz unglücklicher Familienverhältnisse hatte Charlotte das wahre Glück gefunden – doch Bella sah für sich nichts dergleichen am Horizont.
Sie tätschelte Charlottes Hand. „Vielen Dank für das nette Angebot, aber ich habe mich jetzt lange genug
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