5 STERNE FÜR DIE LEIDENSCHAFT
wurde, arbeitete schon seit dreißig Jahren für die Hudsons. Zu großen Teilen war es ihr zu verdanken, dass in der großen, temperamentvollen Familie meistens alles glattlief. „Bin schon da, Ma’am. Ruhen Sie sich jetzt ein wenig aus.“
In Bella stieg ein unbestimmtes Gefühl der Panik auf. Wie viel Zeit mochte Lillian noch bleiben? Nach Auskunft der Ärzte konnte es jeden Tag so weit sein. Trotzdem hofften alle, sie würde noch länger durchhalten; immerhin hatte sie die bisherigen Prognosen alle überlebt. „Ich bleibe noch bei dir“, sagte Bella leise. „Das macht mir nichts aus, im Gegenteil. Ich möchte es gern.“
„Nichts da, du gehst jetzt“, kommandierte Lillian, doch ihre Stimme war schwach. „Ich muss jetzt meine Medizin nehmen und mir ein frisches Nachthemd anziehen, das alte ist ganz durchgeschwitzt. Es wird mein Herz erfreuen, wenn ich an dich und deinen Sam denke, wie ihr zusammen seid.“
Als Bella ihrer Großmutter in die müden Augen sah, erkannte sie, dass die alte Dame mit ihren Schmerzen allein sein wollte. Vorsichtig umarmte sie sie. „Ich liebe dich, Grandma.“
„Ich liebe dich auch.“ Zärtlich streichelte sie Bellas Wange. „Mach dir nicht so viel Sorgen. Lebe … und sei einfach glücklich.“
Bevor Bella das Zimmer verließ, lächelte sie ihre Großmutter noch einmal an. Vielleicht war es das letzte Mal, dass sie sie sah.
Im Flur lehnte sie sich gegen die Wand, sackte in sich zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie fühlte sich so hilflos, so unendlich hilflos. Das langsame, qualvolle Sterben ihrer Großmutter nahm sie mehr mit, als sie befürchtet hatte. Dabei hatte sie es sich schon damals schlimm vorgestellt, damals, in jener Nacht in Marseille, als sie in Sams Bett gelandet war, um ihren Kummer wenigstens für ein paar Stunden zu vergessen.
So ist das Leben, dachte sie. Alles kann so schnell vorbei sein. Für jeden von uns.
Vielleicht sah sie das Leben falsch. Vielleicht sollte man jeden Augenblick genießen. Sah sie ihre Beziehung zu Sam zu engstirnig, pochte sie zu sehr auf ihre Devise „alles oder nichts“? Ging es nicht vielmehr darum, für den Moment zu leben – weil man nicht wissen konnte, wie viel Zeit einem noch blieb?
Entschlossen richtete sie sich auf und wischte sich die letzten Tränen aus den Augen. Ja, sie war eine Kämpfernatur wie ihre Großmutter. Was sie wollte, holte sie sich.
Und gerade jetzt … wollte sie Sam.
Sam saß am Schreibtisch seines Büros im neuen Garrison-Grandhotel Los Angeles, das in zwei Monaten eröffnet werden sollte. Aus dem Stockwerk über ihm ertönte Baulärm. Vielleicht sollte ich mal hochgehen und nach dem Rechten sehen, ging es ihm durch den Kopf. Ein bisschen Bewegung würde mir guttun. Das würde mich auch von diesen blöden neuen Schlagzeilen aus der Klatschpresse ablenken.
Wütend fegte er zwei Zeitungen vom Tisch. Eine alte Geschichte aus der Vergangenheit hatte ihn eingeholt – gerade heute, wo er sowieso unkonzentriert und übermüdet war. In der vergangenen Nacht mit Bella war es sehr spät geworden. Erst die Preisverleihung und dann noch die Party hinterher.
Eigentlich hätte ich es kommen sehen müssen, dachte er. Er lehnte sich in dem großen Ledersessel zurück, dem einzigen Möbelstück außer dem Schreibtisch, das er mit in das spärlich eingerichtete provisorische Büro gebracht hatte. Wenn das Hotel eröffnete, würde er einen Geschäftsführer engagieren. Das war von Anfang an sein Plan gewesen; er würde nicht hierbleiben. Los Angeles, wo es ständig ums Sehen und Gesehenwerden ging, war nicht seine Welt.
Warum regte ihn dieser Mist in den Klatschblättern überhaupt noch auf? Langsam hätte er daran gewöhnt sein müssen. Bella schien das schon lange nichts mehr auszumachen – im Gegenteil, sie freute sich über alles, was sie in die Schlagzeilen brachte und ihre Schauspielerkarriere fördern konnte. Manchmal quälte es ihn, sie zu all diesen Festivitäten zu begleiten. Und gelegentlich war er nahe daran, einem dieser Hollywood-Typen, die sie ständig bedrängten, einen kräftigen Kinnhaken zu verpassen. Aber zum Glück hatte er sich stets unter Kontrolle.
Das Telefon klingelte, und im selben Augenblick öffnete sich die Tür. Über die Gegensprechanlage hörte er die Stimme der Sekretärin: „Mr. Garrison, Sie haben …“
Besuch.
Bella stand in der Tür. Sie trug Jeans und ein enges T-Shirt, das ihre Oberweite betonte. Dazu – etwas unpassend – eine Diamantenhalskette,
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