5 Tage im Sommer
helfen ließe. Seinem Vater war der Geduldsfaden gerissen. »Es ist zu gefährlich«, hatte er gesagt. »Wenn du älter bist, kannst du mir helfen.« Er hatte sich die Zeit genommen, Will auf die Vordertreppe zurückzutragen, von wo aus er seinem Vater zum letzten Mal zugeschaut hatte. Die Ärmel hochgekrempelt, sehnige Arme, ein schweißnasser Hals. Wenn sein Vater nicht von ihm abgelenkt worden wäre, hätten seine Eltern dann ihre Fahrt früher angetreten? Hätten sie die Gefahrenzone auf dem Highway unbeschadet passiert?
Will blickte zu seinen Söhnen und wusste, dass er sie niemals für einen so schicksalsschweren Fehler verantwortlich machen würde. Alle Ablenkungen durch sie waren ihm willkommen, und er hatte ihnen bereits im Voraus alle Fehler vergeben, die sie in ihrem Leben begehen würden. Er versuchte sich an das Gesicht seines Vaters zu erinnern, als er mit dem Mähen fertig gewesen war, aber es gelang ihm nicht, es war wie ausradiert durch die Anstrengung seines Gedächtnisses. Wenn er sich nur erinnern könnte, dann könnte er sich selbst vergeben.
»Dad«, sagte David, »dein Telefon klingelt.«
Will fragte sich, wie lange es wohl schon geklingelt haben mochte. Er zog das Telefon aus der Tasche.
»Ich bin’s, Charlie.« Er klang leicht gehetzt.
»Bist du schon am Haus?«, fragte Will. »Ich musste nämlich …«
»Ich wollte dir nur sagen, dass wir spät losgekommen sind. Val fühlte sich gestern Abend nicht recht wohl, und sie macht sich Sorgen um das Baby. Der Gynäkologe hat ihr geraten, lange zu schlafen, bevor wir losfahren würden, aber jetzt sind wir auf dem Weg.«
»Ist alles okay mit ihr?« Weitere Stunden des Wartens klafften vor Will auf. War es ein Fehler gewesen, trotz Vals Schwangerschaft die Hilfe der beiden in Anspruch zu nehmen? Aber es war ihr doch gut gegangen, und das Baby sollte erst in drei Monaten kommen. »Vielleicht sollte sie besser zu Hause bleiben, Charlie. Du könntest doch allein kommen.«
»Jetzt sitzen wir schon im Auto«, sagte Charlie. »Um die Mittagszeit müssten wir bei euch sein.«
Eine Frau in einem weißen Kittel eilte auf Will zu. Sie trug ein Schild mit der Aufschrift Dr . Mary Lao , Kinderärztin .
»Also schön«, sagte Will. »Bis dann.«
Bevor er das Handy zuklappen konnte, griff Doktor Lao nach Maxi, die an Wills Schulter eingeschlafen war. »Kommen Sie mit«, forderte sie Will auf. Er nahm David und Sammy an die Hand und folgte ihr durch die Schwingtüren, die auch die verletzte Familie geschluckt hatten. Unter hellem Neonlicht war ein ganzes Team von Ärzten mit der blutüberströmten Mutter beschäftigt.
Doktor Lao eilte weiter, bis sie einen freien Untersuchungstisch gefunden hatte. Sie legte Maxi sanft ab, zog sich ein Paar Gummihandschuhe über, drückte Maxis rechtes Auge auf und leuchtete mit einer kleinen Stablampe direkt hinein. Die Pupille verengte sich in einem schnellen Reflex. Doktor Lao wiederholte die Prozedur mit dem linken Auge. Mit dem Finger prüfte sie Maxis Puls. Als sie dann die Spitze eines elektronischen Thermometers in Maxis Ohr schob, schrie die Kleine auf.
Doktor Lao nickte. »Seit wann hat sie schon diese Ohrenentzündung?«
»Meine Frau war am Samstag mit ihr beim Arzt.« Will reichte Doktor Lao die Flasche mit dem Antibiotikum. Sie sah sich das Etikett an und kam schnell zu demselben Schluss wie Will kurz zuvor.
»Sie hat ihre Medizin nicht bekommen«, sagte Doktor Lao. »Die Entzündung hat sich in die Nebenhöhlen ausgebreitet. Sie hat über vierzig Fieber, und das ist zu hoch. Ich muss sie einweisen und sofort intravenös mit Medizin versorgen. Danach dürfte es ihr besser gehen, aber zu Hause muss sie unbedingt ihr Antibiotikum nehmen, und zwar über den gesamten Zeitraum. Ist das ein Problem?«
»Nein«, antwortete er. »Ich kann erklären, was geschehen ist.«
»Gleich. Erst müssen wir uns um sie kümmern.« Doktor Lao winkte eine Krankenschwester heran. »Bringen Sie dieses Baby hinauf in die Drei. Ich bin gleich da.«
Als die Krankenschwester mit Maxi verschwand, stürzte Sarah herein. Doktor Lao musterte sie kurz. Erst jetzt schien sie David und Sammy zu bemerken. »Sind das auch Ihre Kinder?«, fragte sie Will.
»Ja.«
»Manchmal gehen die Kleinen im Trubel unter, was?« Doktor Lao lächelte nicht. »Sorgen Sie dafür, dass Ihre Tochter sämtliche Dosen der Medizin bekommt, nachdem wir sie entlassen haben. Das hier hätte sehr ernst ausgehen können.«
»Es ist meine Schuld«, sagte
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