5 Tage im Sommer
bleib mit den Jungs hier.«
Es blieb keine Zeit für Erklärungen. »Sarah, bitte , lass sie einsteigen.«
Er drückte auf den Knopf für das Garagentor. Während es in die Höhe rollte, schloss er die hinteren Türen von Sarahs Wagen auf, damit die Jungen hineinspringen konnten. Sammy war als Erster drin und schnallte sich an. Als David in die Garage kam, hielt Will ihn an.
»Lauf schnell zum Kühlschrank und hol Maxis Medizin.«
David rannte ins Haus und war Sekunden später mit der kleinen Plastikflasche Amoxcillin zurück.
Sarah saß auf dem Rücksitz zwischen den beiden Jungen und hielt Maxi. Will setzte rückwärts aus der Garage heraus und sah für einen kurzen Moment im Rückspiegel drei in Panik erstarrte Gesichter: Davids, die Stirn von Besorgnis zerfurcht; Sarahs, in deren Augenwinkeln sich Tränen gesammelt hatten, und Sammys, der starr auf seine Schwester blickte. Will fuhr so schnell, wie es auf der alten Straße irgend ging. Die Totenstille wurde nur unterbrochen vom heiseren Keuchen Maxis, die nach Luft rang.
Die Fahrt zum Falmouth Hospital dauerte nur sieben Minuten, aber es kam Will vor wie eine Stunde. Er fuhr direkt bei der Notaufnahme vor, schnappte sich Maxi aus Sarahs Armen und rannte auf den Eingang zu. Die Jungen folgten Will ins Innere.
In der Notaufnahme herrschte Chaos. Krankenschwestern und Ärzte eilten hektisch an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten. Will nahm den antiseptischen Geruch wahr, den er so hasste. Zu viele Erinnerungen wurden dadurch wach. Jedes Mal, wenn er ein Krankenhaus betrat, kroch die Angst, erneut jemanden zu verlieren, in ihm hoch.
Es hatte einen Frontalzusammenstoß auf der Route 28 gegeben, und eine schwer verletzte Familie wurde auf Tragbahren hereingetragen. Vier verletzte Kinder wurden nacheinander durch die Aufnahme in den angrenzenden Raum geschoben. Die Mutter war bewusstlos, und man hatte ihr einen Schlauch in den Mund geschoben. Zwei Notaufnahmehelfer versuchten sie wiederzubeleben.
Will wollte David und Sammy beiseite scheuchen, aber es war bereits zu spät. Sie hatten alles gesehen. Will war klar, dass seine Söhne zunehmend aus dem Gleichgewicht gerieten. Aber er wusste nicht, wie er es verhindern sollte. Maxi hing regungslos an seiner Schulter, und niemand kam, um ihr zu helfen. Mit der freien Hand dirigierte er Sam und David zum Anmeldeschalter.
Der Pfleger hinter dem hohen Tresen telefonierte.
»Entschuldigung«, unterbrach Will. »Meine Tochter ist krank und braucht dringend einen Arzt.«
Der Pfleger quetschte einen Anflug von Mitgefühl in sein Lächeln. »Ich seh schon. Aber wir hatten gerade einen Autounfall, und da sind alle beschäftigt. Ich sage auf der Kinderstation Bescheid, dass die jemanden runterschicken.« Er drückte einen roten Knopf, und gleich darauf ertönte seine routinierte Stimme über die Lautsprecheranlage und rief einen Kinderarzt in die Notaufnahme.
Will schob die Jungen auf zwei der orangefarbenen Schalenstühle, die entlang der Wand des Warteraumes befestigt waren. David und Sammy ließen ihren Vater nicht aus den Augen, während er mit Maxi auf und ab ging und ihr ein Wiegenlied ins Ohr flüsterte. David hielt krampfhaft die Arzneiflasche mit dem Antibiotikum fest.
Plötzlich wurde Will bewusst, dass er Maxi seit seiner Ankunft auf dem Cape keine Medizin gegeben hatte. Ob Sarah wohl tatsächlich daran gedacht hatte? Behauptet hatte sie es jedenfalls.
»Lass mich mal die Flasche sehen.«
David gab sie ihm.
Will studierte sorgfältig das Etikett. Es war auf den 1. September datiert, jenen Samstag, als Emily zu ihm in die Stadt gekommen war und Maxi zum Arzt gebracht hatte. An jenem Tag hatte Maxi mit der Einnahme der Medizin begonnen. Montag wäre der dritte Tag gewesen; der Tag, an dem Emily nachmittags verschwunden war. Hatte Maxi seither noch das Antibiotikum bekommen? Jetzt war Mittwoch. Die Einnahme war für zehn Tage vorgeschrieben, heute sollte Maxis fünfter Tag gewesen sein, und doch war die Flasche noch mehr als drei Viertel voll. Will drehte sich der Magen um. Seit gestern Morgen war er selbst vor Ort gewesen. Er hätte sich der Sache annehmen sollen; er hätte es nicht Sarah überlassen sollen, denn er wusste doch, dass sie schon unter normalen Umständen manchmal etwas vergaß. Es war seine Schuld, dass sie jetzt hier waren. Ganz allein seine Schuld.
Und plötzlich erinnerte er sich. Am Morgen bevor seine Eltern verunglückt waren, hatte er gequengelt, damit sein Vater ihn beim Rasenmähen
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