5 Tage im Sommer
blieben am Bett stehen und warfen ihr Kusshände zu. Ohne zu reden, gingen sie am Wachtposten vorbei und verließen das Krankenhaus. Die Jungen fuhren mit Will zum Haus zurück. Sarah folgte ihnen in ihrem eigenen Wagen.
Von Charlie und Val war nichts zu sehen, als sie am Haus ankamen. Sobald sie geparkt hatten und ausgestiegen waren, zog Will sein Handy hervor. Wo blieben sie bloß? Er musste herausfinden, was los war. Sarah blieb mit den Jungen vorne im Garten und begann mit ihrer »Tour«, wie Emily es nannte, wenn ihre Mutter sowohl die lateinischen wie die gebräuchlichen Namen aller Pflanzen vortrug. Es war wie ein nervöser Tick von Sarah, und es war das erste Mal, dass Will dankbar dafür war. Solange die Aufmerksamkeit der Jungen von etwas Kleinem und Gewöhnlichem gefesselt war, war es gut. Solange sie nur die Bäume sahen und nicht den Wald.
Will nahm die Gelegenheit wahr, allein ins Haus zu gehen. Er eilte in das Schlafzimmer. Emilys Adressbuch lag auf der Kommode, auf dem Roman, den sie angefangen hatte.
Kaum hatte er den roten Ledereinband geöffnet, roch er sie. Er hatte sie seit drei Tagen nicht mehr gesehen, und er wusste, dass er sie vielleicht nie mehr Wiedersehen würde. Das Adressbuch war voll geschrieben, in verschiedenen Farben, mit Kugelschreiber und Bleistift, und er hob es ans Gesicht, um ihren Duft einzuatmen. Dann legte er es aufs Bett, und mit zitternden Fingern fand er die Telefonnummer.
Charlies Voice-Mail antwortete auf seinem Handy, und bei Val war es dasselbe. Bei ihnen zu Hause reagierte nur der Anrufbeantworter. Will hinterließ überall Nachrichten, legte dann das Telefon auf und lief in die Küche. Vielleicht hatten sie ja hier eine Nachricht hinterlassen.
Auf dem Anrufbeantworter blinkte eine rote Eins. Er drückte auf Play und hörte Charlies Stimme.
»Hör mal, Will, wir mussten umkehren. Der Arzt meint, bei Val hätten schon die Wehen eingesetzt. Er will, dass sie ins Krankenhaus geht, denn wenn es Wehen sind, muss er sie stoppen. Es ist zu früh, Will, zweieinhalb Monate zu früh. Es tut mir Leid, es tut mir so Leid . Sie ist unglaublich durcheinander, seit du angerufen hast. Ich muss jetzt auflegen. Sie sagt, sobald alles in Ordnung ist, soll ich allein zu euch fahren. Das mach ich auch. Ich rufe …«
Der Anrufbeantworter hatte ihm das Wort abgeschnitten.
Will drehte sich der Magen um. Er ging wieder ins Schlafzimmer, nahm Emilys Adressbuch zur Hand und blätterte darin. Die Namen ihrer Freunde und Familienmitglieder verschwammen vor seinen Augen, als er nach der richtigen Person suchte, die kommen könnte, um seine Kinder zu retten. Aber schließlich sah er ein, dass es nur eine einzige solche Person gab, dass Gearys erster Vorschlag der richtige gewesen war.
Am nächsten Morgen würde Will Maxi aus dem Krankenhaus abholen und Sarah mit den Kindern nach New York bringen. Er würde es heute Abend Sarah sagen.
Er hob das Adressbuch seiner Frau an die Nase, schloss die Augen und verlor sich ganz in Emilys Duft. Er musste sie finden. Er würde sie finden. Ganz bestimmt.
»Halt! Halt !«
Den zweiten Ruf hörte er zuerst.
»Aufhören!!«
Will hetzte zur Vordertür hinaus. Die Jungen spielten Fangen. Dabei wirbelten sie so viel Staub auf, dass man sie kaum mehr sah. Sarah stand am Rand ihres Kaktusbeets und versuchte vergebens, sie zur Ordnung zu rufen. Lachend rannte Sam hinter seinem Bruder her, streckte den Arm aus, um ihn am Hemd zu packen, und hätte es auch beinahe geschafft, bevor die Entfernung zwischen ihnen wieder zu groß wurde. David war pfeilschnell und entschlossen. Er wollte beweisen, dass er niemals einzuholen war. Sams Rücken war weiß von Staub, seine Knie waren aufgeschürft und blutig. Er war offenbar hingefallen.
»Jetzt reicht es!«, rief Will. »Jungs, kommt wieder ins Haus!«
David warf einen Blick über die Schulter. Ein Grinsen huschte so schnell über sein Gesicht, dass Will nicht wusste, ob er richtig gesehen hatte. Dann bog David am Ende der Auffahrt in den Schotterweg ein, der zur Hauptstraße führte. Sam beugte sich vor und stützte die Arme auf die Oberschenkel, um zu Atem zu kommen, und nahm dann die Verfolgung wieder auf. Er rannte David hinterher ins flimmernde Nachmittagslicht.
Will sprintete an Sarah vorbei und holte Sam ein.
»Komm, Dad. Wir müssen ihn fangen!«
Will rannte. Er konnte hören, wie Sammy hinter ihm aufhörte zu laufen und wie ein Staffelläufer, der das Holz übergeben hatte, dem weiteren Wettlauf
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