53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten
Rücksicht auf seine Armut und untergeordnete Stellung ihn abgehalten hatte und noch abhielt, seinem Herzen freien Lauf zu lassen, hielt es jetzt geradezu für ihre Pflicht, ihm nach so langer, qualvoller, dunkler Nacht den hellsten Strahl der Sonne scheinen zu lassen. Darum antwortete sie unter holdem Erröten:
„Das seid Ihr.“
„Ich? Treibt Ihr mit mir Scherz?“ stammelte er.
„Scherz in einem solchen Augenblick? O nein. Ich fühle mich glücklich zu sehen, daß Arthur gerettet ist. Aber noch glücklicher macht es mich, Euch frei zu sehen.“
„Miß Wilkins! Almy!“
„Martin!“
Dieser schaute, am ganzen Körper vor Schwäche und Aufregung bebend, zaghaft zu ihr nieder. Sie blickte ruhig und lächelnd zu ihm auf, doch es überkam sie neben ihrer Liebe auch ein unendliches Mitleid, und es war ihr, als ob sie ihr Leben lang und unausgesetzt besorgt sein müsse, Martin die ausgestandenen Leiden vergessen zu machen.
„Verzeiht“, bat er, „daß ich Euren Vornamen nannte.“
„Nannte ich nicht auch den Eurigen?“
„Darf ich es denn, darf ich?“
„O gern, unendlich gern!“
„Mein Gott! Almy! Ist's wahr, ist's wahr? Das ist mehr als Glück; das ist Seligkeit!“
„Du hast sie verdient nach so langer Qual! O Martin, mein lieber, lieber Martin, ich habe so viel wieder gutzumachen an dir!“
„Du?“ fragte er in liebevollem Erstaunen.
„Ja, ich, gerade ich!“
„Davon weiß ich nicht das mindeste.“
„Du weißt es, aber dein Edelmut verhindert dich, es einzugestehen. Ich allein bin schuld an allem, was du erduldet hast!“
„Nein und abermals nein! Du machst dir da ganz unverdiente Vorwürfe.“
„Ganz verdiente. Du gingst von Wilkinsfield fort, um nach Arthur zu forschen. Hättest du das getan, wenn du mich nicht geliebt hättest?“
Martin gestand sich ein, daß sie recht habe, sagte aber doch:
„Ich hätte es auch getan ohne meine Liebe zu dir, denn ich war der Beamte deines Vaters, und es war meine Pflicht, für ihn die Reise zu unternehmen. Ich hatte freilich keine Ahnung, wie verhängnisvoll sie für mich enden sollte!“
Da blickte sie ihm mit strahlenden Augen ins Angesicht und fragte in scherzendem Ton und dabei doch ein hervorbrechendes Schluchzen unterdrückend.
„Verhängnisvoll? Wirklich?“
„Nun ja!“ antwortete er, da er sie nicht sogleich verstand.
„Hat sie wirklich so verhängnisvoll für dich geendet?“
„Nennst du es vielleicht nicht so?“
„Nein. Denn das Ende deiner Reise ist doch erst heute eingetreten. Morgen erst beginnt die Rückkehr. Und ist das heutige Ende denn ein verhängnisvolles?“
„Nein, nein, sondern vielmehr ein unendlich beseligendes, wenn du es so meinst. Almy, meine Almy, wie habe ich dich geliebt, und wie liebe ich dich noch jetzt, noch heute!“
„Und ich dich ebenso!“
„Mich, den kranken, totenähnlichen Mann!“
„Gerade um so mehr!“ antwortete die noch immer vor ihm Kniende und hob die Arme zu ihm empor, um sie um seinen Nacken zu schlingen, seinen Kopf zu sich herabzuziehen und ihn innig auf die bleichen, farblosen Lippen zu küssen.
„Wer – was –? Almy, Almy!“ rief da eine erstaunte Stimme von der Tür her.
Und als die beiden auseinanderfuhren, stand am Eingange Wilkins mit seinem Neffen. Der erstere war ganz betroffen, seine Tochter in einer so zärtlichen Umarmung zu überraschen.
„Vater, Vater“, rief jedoch diese, auf ihn zueilend und die Arme um ihn schlingend. „Siehe ihn dir an! Kennst du ihn? Erkennst du ihn nicht wieder?“
Wilkins warf einen scharf forschenden Blick auf seinen einstigen Untergebenen, der vom Stuhl aufgestanden war und sich ihm langsam näherte.
„Ob ich ihn erkenne!“ antwortete er. „Mit den Augen nicht, aber mit der Ahnung. Adler, Master Adler! Seid Ihr es?“
„Ja, ja, er ist es, lieber Vater!“ sagte Almy anstelle des Gefragten.
„Dann kommt an mein Herz. Daß auch Ihr wiedergefunden und gerettet seid, das vollendet mein Glück. Ohne Euch hätte ich nie wieder meine Ruhe gefunden. Jetzt endlich können die Vorwürfe schweigen, die mich so manche schlaflose Nacht hindurch gemartert haben.“
Sie umarmten sich. Dann sagte Almy halb neckisch und halb schüchtern:
„Du umarmst ihn! Mir aber ist es wohl verboten?“
„Dir? Nein, Kind. Wie kann ich dir und ihm verbieten, glücklich zu sein!“
„Aber Sir“, fiel Adler ein, „ich bin jetzt ein kranker und armer Mann!“
„Pah! Desto reicher bin ich. Ich hoffe, daß das Gericht mich wieder in
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