54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
gelang, zu entweichen?“
„Davon weiß ich kein Wort.“
„Und vorher, befandest du dich da nicht in Konstantinopel, wo du den Pascha Ibrahim kanntest?“
„Ich habe ihn nie gesehen.“
Bisher war die Unterredung in russischer Sprache geführt worden. Jetzt aber fragte Steinbach plötzlich in deutscher Sprache:
„Hast du nicht dort zwei Fremde gesehen, die Freunde waren und Wallert und Normann hießen?“
Diese Frage war der vorhergehenden Antwort so schnell gefolgt und in einem so gleichgültigen Ton gesprochen, daß es Florin gar nicht auffiel, daß Steinbach plötzlich deutsch sprach. Er antwortete in derselben Sprache:
„Ich habe mich dort nie um Fremde gekümmert.“
„Sie waren Deutsche!“
„Das ist mir sehr gleichgültig.“
„Schön! Aber dieselbe Gleichgültigkeit hat dich in die Falle geführt, die ich dir gestellt habe. Erst leugnest du, in Konstantinopel gewesen zu sein. Dann sagst du, daß du dich dort nie um Fremde gekümmert hast. Wenn du von ‚dort‘ sprichst, mußt du doch dort gewesen sein; das ist sehr einleuchtend.“
„Ich habe mich eines falschen Ausdrucks bedient.“
„So! Alsdann leugnetest du, in Deutschland gewesen zu sein, und jetzt sprichst du ein recht fließendes Deutsch.“
„Das habe ich im Ausland gelernt. Ich lernte es von einem geborenen Deutschen.“
„Ausrede! Auf diese Weise entkommst du mir freilich nicht. Hier befinden sich fünf Zeugen, die dich entweder in Amerika oder der Türkei gesehen haben und es beschwören werden, daß du Florin, Bill Newton und der Derwisch Osman warst. Außerdem hat dich Graf Polikeff auch gekannt. Er wird das jetzt zwar leugnen, aber es gibt Mittel, ihn zum Sprechen zu bringen. Du bist angeklagt, in Verbindung mit Ibrahim Pascha ein entsetzliches Verbrechen an der Familie Adlerhorst begangen zu haben.“
„Dagegen protestiere ich!“
„Das hilft dir gar nichts. Es ist an Rußland, wo du dich jetzt befindest, das Ersuchen gegangen, dich auszuliefern, die Behörde wird dem Wunsch entsprechen, und du wirst als mein Gefangener mit mir reisen.“
Florin erschrak. Doch nahm er sich zusammen.
„Ich erkläre, daß man mich vergewaltigt. Ich kann nur durch die Polizei arretiert werden!“
„Die Polizei, das bin ich. Wir befinden uns hier im Grenzbezirk, in dem selbst die Zivilverhältnisse der Militärbehörde unterstehen. Und übrigens ist es mir sehr gleichgültig, was du denkst und sagst. Ich handle nach meinem Ermessen.“
Florin warf einen wilden Blick umher.
„So bin ich also dein Gefangener?“ fragte er. „Lieber tot!“
Blitzschnell wandte er sich nach der Tür und holte mit beiden Fäusten aus, um Sam, Jim und Tim von derselben fortzustoßen. Aber der kleine Dicke war ebenso schnell wie er. Er bückte sich, so daß der gegen ihn gerichtete Hieb danebenging und rannte ihm die beiden Fäuste so gegen den Leib, daß Florin wie ein Klotz zu Boden krachte.
„Recht so!“ sagte Steinbach. „Bindet ihn!“
Dieser Befehl war in wenigen Augenblicken vollzogen. Florin schäumte vor Wut. Er stieß eine Flut von Verwünschungen aus, was aber gar nicht verhinderte, daß er nach einer Ecke geschleift wurde, wo ihm Jim noch einige derbe Fußtritte versetzte.
Jetzt kehrte Boroda zurück. Er brachte seine Eltern mit. Natürlich hatte er denselben bereits mitgeteilt, daß sie begnadigt seien und wem sie es zu verdanken hatten. Darum wandten sie sich sofort an Steinbach, um ihm zu danken. Dieser aber wehrte wiederum ab.
Der Graf hatte bisher als stiller Zeuge dagestanden, regungslos an die Wand gelehnt. Sein Auge war mit haßerfülltem Blick auf Steinbach gerichtet. Es tobte und stürmte in seinem Inneren. Er erkannte, daß ihm das Leugnen nichts helfen könne. Alles war verraten. Steinbach wußte alles, und es waren Zeugen vorhanden, gegen deren Aussage die seinige nichts gelten konnte.
Es gab nur eins für ihn: die Flucht, die schleunigste Flucht. Er mußte fort, mußte die Weiten Sibiriens auf schnellen Rossen durchjagen, mußte nach dem eigentlichen Rußland, wo seine Güter lagen, dort eiligst so viel Geld wie möglich zusammenraffen und damit in ein Land gehen, in dem er nicht gefunden werden konnte.
Die Hauptsache war, jetzt zu entkommen. Draußen standen zwei gesattelte Pferde, deren er und der Major sich bedient hatten. Hinaus, in den Sattel und fort!
Dieser Gedanke erregte seine Nerven und spannte seine Muskeln zur größten Anstrengung. Er sah, daß die allgemeine Aufmerksamkeit jetzt auf den gefesselten
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