54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
Florin und auf Borodas Eltern gerichtet war. Ihn selbst schien man weniger zu beachten. Dieser Augenblick war für sein Vorhaben günstig. Jetzt oder nie mußte er die Flucht versuchen.
Noch einen Blick warf er im Kreis umher. Kein Auge ruhte auf ihm. Er wagte es. Den Revolver aus der Tasche ziehend, tat er einen Sprung nach der Tür.
Aber er hatte sich getäuscht. Er kannte Steinbach noch nicht. Dieser hatte ihn, trotz seiner scheinbaren Gleichgültigkeit, doch nicht aus dem Auge gelassen. Mit einer gedankenschnellen Bewegung sprang Steinbach hinzu und faßte den Grafen am linken Arm.
„Halt!“ rief er. „Sie bleiben!“
„Laß los!“ schrie der Graf. „Sonst –!“
Er richtete den Revolver auf Steinbachs Brust und drückte ab. Steinbach aber schlug ihm noch im richtigen Moment die Waffe aus der Faust. Der Schuß ging zwar los, doch fuhr die Kugel in den Boden.
Nun schleuderte Steinbach den Grafen dahin, wo Jim, Tim und Sam standen. Diese nahmen ihn sofort in Empfang, und während die beiden ersteren ihn mit ihren Armen umschlangen, so daß er sich nicht bewegen konnte, zog der Dicke einige Riemen aus der Tasche, mit denen er den Grafen an Händen und Füßen band.
Der Gefesselte wurde dann auf einen Stuhl gesetzt. Die Flucht war mißlungen. Er sah die Augen aller auf sich ruhen und schloß die seinigen. Was er fühlte, das war gar nicht zu beschreiben.
Haß, Wut und Scham rangen miteinander in seinem Inneren um die Oberhand. Es hatte ihn eine Aufregung ergriffen, die sich nicht nur seines Geistes, sondern auch seines Körpers bemächtigte. Er zitterte an allen Gliedern. Seine Brust wogte heftig, und sein Atem drang hörbar, fast pfeifend aus seinem Mund.
Semawa war auf Steinbach zugeeilt.
„Um Gottes willen! Bist du verwundet?“ fragte sie voller Angst.
„Nein. Die Kugel ging fehl. Sei ruhig, meine Seele! Ich befinde mich ganz wohl, so wohl, daß ich in meinen Eröffnungen fortfahren kann.“
Er zog ein Papier aus der Brieftasche und reichte dasselbe dem Major.
„Sie sind hier Kommandierender“, sagte er zu ihm, „Ihnen muß ich also diesen Verhaftsbefehl vorzeigen.“
Der Offizier nahm den Zettel und las:
„Dem Vorzeiger dieses steht es zu, den Grafen Alexei von Polikeff zu verhaften, wo und wie er ihn nur immer findet. Seinen Anordnungen ist von allen Behörden Folge zu leisten, gerade als ob ich selbst mich an seiner Stelle befände.“
Unterzeichner war der Justizminister.
„Ah, welch eine Machtvollkommenheit!“ sagte der Major verwundert. „So etwas habe ich freilich noch nicht erlebt.“
Unterdessen hatte Steinbach von dem Tisch, an dem er vorhin geschrieben hatte, eine weiteres Dokument genommen und es dem Offizier übergeben.
„Abermals vom Kaiser selbst unterzeichnet!“ rief dieser erstaunt, als sein Blick auf die Unterschrift fiel.
„Bitte, lesen Sie laut vor!“
Der Inhalt lautete:
„Der zu ewiger Verbannung in die Zobelwälder verurteilte Inhaftat Nummer Fünf soll, sobald es sich herausstellt, daß er der Maharadscha Banda von Nubrida ist, sofort entlassen werden. Es ist seine Reise nach Petersburg an den kaiserlichen Hof zu verfügen, wobei ihm alle Ehren zu erweisen sind, und dafür zu sorgen ist, daß die Reise mit der Bequemlichkeit geschieht, die seinem hohen Stande angemessen ist.
Die Untersuchung wird ergeben, auf welche Weise ein so außerordentlicher Fall sich ereignen konnte. Doch hat bereits jetzt die Vorherbestimmung in Kraft zu treten, daß ihm für jedes Jahr seiner Verbannung ein Lak Rupien auszuzahlen sind, welche Summe der Graf Polikeff zu tragen hat. Aus diesem Grund sind die Güter des letzteren augenblicklich mit Beschlag zu belegen.“
Ein Lak Rupien ist indisches Geld und heißt so viel wie hunderttausend Rupien oder hundertneunzigtausend Mark.
Diese Verfügung rief natürlich ein ganz außerordentliches Aufsehen hervor.
„Vater, mein Vater! Du bist frei!“ rief Semawa, indem sie sich an die Brust des indischen Fürsten warf.
Auch die anderen eilten auf diesen zu, um ihm zu gratulieren. Er aber winkte sie von sich ab. Er war ganz sprachlos vor freudiger Überraschung und mußte sich niedersetzen.
Die Szene, die es nun gab, war gar nicht zu beschreiben. Die Personen, denen nach so langen Leiden die goldene Freiheit wieder winkte, konnten sich vor Freude gar nicht fassen. Das war ein Jubilieren und Jauchzen! Natürlich flossen alle von Dankesworten gegen Steinbach über.
Und der Graf und Florin mußten Zeuge dieses Jubels sein!
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