54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
dann wäre es leicht möglich, daß der Mechanismus falsch wirkt.“
„So will ich lieber die Hand vom Spiel lassen. Eins nur ärgert mich, nämlich, daß ich die Leute hier erwarten muß. Wenn ich sie mir dann auch in der Nähe betrachte, so stehen sie doch fast im Dunkeln und zwar so dicht gedrängt, daß ich sie einzeln gar nicht deutlich zu unterscheiden vermag. Und doch hätte ich sie mir gern vorher einmal angesehen. Es ist doch für den Jäger ein Hochgenuß, zu sehen, wie hübsch und gefügig das Wild in das Garn läuft.“
„Nun, was das betrifft, so kann dieser Wunsch wohl erfüllt werden“, meinte der Kastellan. „Sie wissen, daß dieser Gang zu der anderen Treppe führt. Wenn Sie jetzt mit dorthin gehen und sich an die Kellertür stellen, die wir ein wenig offenlassen, so können Sie sämtliche Personen sehen, die ich durch die gegenüberliegende Tür hinabführe.“
„Aber Sie müßten sich dann beeilen, schnell wieder hierher zurückzukehren, damit Sie nicht etwa zu spät kommen.“
„Natürlich, natürlich!“
„Ich werde mich mit ihnen unterwegs gar nicht aufhalten, denn es liegt mir daran, die Sache schnell zu beenden. Also, wollen Sie sie wirklich belauschen?“
„Ja.“
„So kommen Sie! Wir wollen gehen.“
Sie schritten darauf in dem Gang weiter vorwärts und gelangten auf die bereits vorgeschriebene Weise nach der Treppe. Dort sollten sie auf der obersten Stufe derselben stehenbleiben; aber als der Kastellan die nach dem Flur führende Türe öffnete, sah er die Polizistin aus dem Hof kommen.
„Wo warst du?“ fragte er sie. „Ich denke, du bist oben in meiner Stube geblieben.“
„Ich mußte herab“, antwortete sie, „denn die Herrschaften sind gekommen.“
„Ah, schon! Wo befinden sie sich?“
„Draußen im Hof, wo sie auf dich warten; ich soll dich holen.“
„Kann man sie von hier aus sehen?“
„Ja, alle.“
„So steige hinauf und hole mir die zweite Laterne herab, die an der Wand hängt! Diese hier muß ich den beiden Herren lassen.“
Während die Polizistin nach oben ging, begab sich der Kastellan nach der Tür und schaute vorsichtig hinaus.
„Kommen Sie her“, rief er dem Pascha und dem Derwisch zu. „Jetzt haben Sie die beste Gelegenheit, die ganze Gesellschaft beisammen zu sehen.“
Die Gerufenen begaben sich zu ihm und erblickten nun Steinbach mit seiner ganzen Begleitung. Die Herrschaften standen beisammen und schienen in einer launigen Unterhaltung begriffen zu sein.
„Dort, dort ist er, der Halunke!“ sagte der Pascha. „Endlich habe ich diesen Kerl, an dem ich mich mit wahrer Wonne rächen werde.“
„Schade, jammerschade, daß wir es ihm nicht in das Gesicht hineinjubeln können“, stimmte der Derwisch bei.
„Das tun wir schon noch, da unten durch die Tür der Brunnenstube. Wie wohlgemut sie sind! Ah, wenn sie ahnten, was ihnen bevorsteht! Siehst du den langen Kerl, den Engländer?“
„Ja. Auch er muß mit hinab! Der Kerl hat uns damals in Konstantinopel genug zu schaffen gemacht.“
„Das möchte noch gehen. Aber hier hat er mich blamiert und auf das tödlichste beleidigt. Nun wollen wir sehen, ob ich wirklich nicht satisfaktionsfähig bin. Das Herz könnte mir vor Freude zerspringen, wenn ich diese ganze Gesellschaft beisammen sehe. Wer mag nur die ältere Frau sein, die sich bei ihnen befindet?“
Der Derwisch betrachtete die Betreffende mit scharfen Augen, fuhr sich einige Male mit der Hand über das Gesicht, als ob er von dort einen Schleier entfernen wolle, und sagte dann:
„Wie ist mir denn! Sehe ich recht? Das ist doch wohl nicht gut möglich! Sollte ich mich so sehr geirrt haben! Sie lebt noch! Sie ist uns entgangen! Wir haben nicht ihr, sondern einer anderen die Zunge aus dem Mund geschnitten! Ah, ja, jetzt besinne ich mich! Ich sah diese Person schon drüben in Amerika, im Tal des Todes. Es ist Anna von Adlerhorst.“
„Wahrhaftig!“ rief der Pascha. „Oh, dieses Weib hat mir viel, sehr viel Schaden gemacht. Nun soll sie auch mit hinab in die Grube oder vielmehr in den Brunnen fahren.“
In dieser Weise machten die beiden Schurken ihre Bemerkungen über jede einzelne Person, bis die Polizistin mit der Laterne kam.
Der Pascha erklärte, daß er sie gern mitnehmen wolle, da sie ja doch seine Verbündete sei, und so kehrten die drei in den Gang zurück, den der Kastellan hinter ihnen verschloß, denn nun war es nicht nötig, die Tür aufzulassen, wie vorher verabredet worden war. Die beiden Männer hatten ja
Weitere Kostenlose Bücher