54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
Versetzung. Er wußte vor Wut kaum, was er tat, und so mußte der Rittmeister die dienstlichen Obliegenheiten besorgen. Er ließ die Fanale anbrennen und requirierte die vorhandenen Privatpferde, um Eilboten nach rechts und links längs der Grenze auszusenden. Die Flüchtlinge konnten ja noch nicht weit sein. Vielleicht waren sie von den jenseits der Grenze liegenden chinesischen Militärstationen angehalten oder doch wenigstens bemerkt worden. Es mußte alles getan werden, ihrer wieder habhaft zu werden. Alle die darauf bezüglichen Anordnungen richteten sich nach Süden gegen das Grenzgebiet. Aber daß die Flüchtlinge auf den tollkühnen Gedanken gekommen sein könnten, nach Norden, also in das Innere des Landes zu entweichen, darauf kam kein Mensch.
Sam hatte genug gesehen und gehört. Darum beschloß er, nach dem Hof zurückzukehren und sagte dies Peter Dobronitsch, der seinerseits sofort und gern einwilligte, weil er sich außerordentlich ermüdet fühlte.
So verließen sie also die Stanitza und wanderten heim.
Sam erzählte unterwegs ausführlich, was in der Nacht in der Stanitza geschehen war, und erklärte sodann, warum dieser eingeschlagene Weg der sicherste sei, um zur Rettung der Verbannten zu führen.
Dann lenkte er das Gespräch auf Alexius Boroda und Mila und fragte Dobronitsch, ob ihm der junge Zobeljäger als Eidam willkommen sei.
Dieser senkte den Kopf und schritt eine Zeitlang schweigend weiter. Er machte ein zwar nachdenkliches, aber keineswegs unfreundliches Gesicht.
„Wenn du Bedenken hast, so sage es mir!“ meinte Sam. „Ich hoffe, daß ich sie zerstreuen kann.“
„In Beziehung auf die Person Borodas habe ich gar keine Bedenken.“
„Nun, ich wüßte auch nicht, was du gegen ihn einwenden solltest. Du bist reicher als er. Aber ich habe bereits gestern zu dir von einem Verwandten gesprochen, auf den er sich verlassen kann. Du wirst leicht erraten, wer das ist.“
„Ich denke mir, daß du es bist.“
„Ja, ich bin es. Weißt du, ich war lange, lange Jahre drüben in Amerika und bin allzeit sehr glücklich gewesen. Die Pelzjagd hat mir sehr viel eingebracht, und im Goldsuchen bin ich noch viel glücklicher gewesen. Man sieht es mir freilich nicht an, denn ich bin ein einfacher Kerl und liebe es nicht, mit Glacehandschuhen, Vatermördern und grauem Filzhut in der Welt herumzulaufen. Aber ich habe so viel zusammengespart, daß mich mancher Bankier beneiden würde, wenn er einmal dabeisein könnte, wenn ich mit der großen Gartenschere meine Coupons abschneide. Kinder habe ich nicht. Ich werde mir zwar eine Frau nehmen; daß diese Ehe aber mit Kindern gesegnet sein wird, das glaube ich nicht, denn meine Frau ist zu alt dazu. Dazu denke ich denn, daß Boroda mein Erbe sein wird. Also in dieser Beziehung brauchst du keine Sorge zu haben. Mila soll nicht Hunger leiden.“
„Oh, das befürchte ich ganz und gar nicht, denn da wäre ich auch da. Sie ist doch mein einziges Kind. Aber, aber – ihr seid Deutsche; ich aber bin ein Russe!“
„Nun, ein Russe ist doch wohl kein Drache!“
„Schwerlich. So habe ich es übrigens auch gar nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, daß mein Herz am heiligen Rußland hängt. Boroda will natürlich, wenn er meine Tochter heiratet, mit ihr nach Deutschland. Und dann müßten ich und meine Frau mit. Und ob diese will, das ist unsicher. Ich möchte doch erst mit ihr reden.“
„Das sollst du auch. Aber deine persönliche Meinung kannst du mir dennoch mitteilen.“
„Na, was diese betrifft, so will ich denn aus vollem Herzen ja sagen.“
„Schön! Hier hast du meine zehn Finger. Schlag ein!“
Sam hielt Dobronitsch beide Hände entgegen. Dieser schlug ein und drückte sie ihm herzlich.
„Na“, lachte Sam glücklich, „was wird Steinbach sagen, daß ich hier eine Heirat gestiftet habe, bei der der Bräutigam mein leiblicher Neffe ist! Wird der Augen machen!“
„Was diesen Steinbach betrifft, so bin ich ganz außerordentlich neugierig auf ihn. Nach allem, was ich von ihm gehört habe, muß er ein höchst ungewöhnlicher Mann sein.“
„Das ist er auch. Soweit ich in der Welt herumgekommen bin, einen Mann, den ich mit ihm vergleichen könnte, habe ich noch nie getroffen.“
„Und du glaubst, daß er bald kommen wird?“
„Ja. Es ist sogar möglich, daß er bereits da ist, wenn wir nach Hause kommen. Dann wirst du etwas erleben, was du sicherlich nicht für möglich gehalten hast. Dann werden Zeichen und Wunder geschehen. Der Niedrige
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