55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
sein Herr.
„Eine ziemliche Weile, Herr Doktor“, antwortete der Diener. „Ich kam eher, weil ich glaubte, Ihnen etwas mitteilen zu dürfen.“
„Etwas Wichtiges für unsere Aufgabe?“
„Etwas Wichtiges? Ja, aber wohl nur für mich, Herr Doktor.“
„Ah, so ist es eine persönliche Angelegenheit?“
„Ja, nichts anderes.“
„Nun, so wollen wir zunächst die Nähe des Schlosses verlassen, da mir natürlich daran liegen muß, unbemerkt zu bleiben. Hier, nimm aber diese Papiere. Sie gehören zu denen, welche du über die Grenze zu schaffen hast. Und nun komm!“
Sie schritten miteinander rasch davon. Dann aber, als sie sich im Freien befanden und nun annehmen konnten, daß sie unbeachtet seien, sagte Müller:
„Nun kannst du beginnen, lieber Fritz.“
„Da muß ich vor allen Dingen bitten, mir nichts übel zu nehmen, Herr Doktor. Ehe ich zur Sache komme, möchte ich erst einige Fragen aussprechen, welche Verwandte von Ihnen betreffen.“
„So, frage einmal zu! Ich bin überzeugt, daß du keine müßigen Fragen aussprechen wirst.“
„Das würde ich gar nicht wagen. Aber es sind hier Dinge passiert, welche eine Erkundigung notwendig machen, die Ihnen vielleicht zudringlich erscheinen wird. Nicht wahr, der Herr General von Goldberg, Exzellenz, ist Ihr Verwandter?“
„Allerdings. Er ist mein Oheim.“
„Die Frau Generalin ist die Schwester Ihrer Frau Mutter?“
„Ja. War dir dies noch nicht bekannt?“
„Nicht genau. Ich habe Sie ja stets nur in der Garnison bedient und bin mit Ihren Verwandten mehr als ersten Grades also nie in Berührung gekommen. Gestatten Sie mir die fernere Frage, ob der Herr General Kinder hat?“
„Nein.“
„Er hat auch niemals welche gehabt?“
„O doch, nämlich ein Zwillingspaar, zwei Knaben; sie sind ihm aber auf höchst unbegreifliche Weise abhanden gekommen. Er glaubte an einen Raub und hat keine Anstrengung gescheut, das Dunkel aufzuklären, doch leider vergebens. Die Tante trägt seit jener Zeit nur Schwarz, und auch der Onkel hält sich nicht nur von jedem Vergnügen fern, sondern er meidet auch allen Umgang, der nicht ein dienstlich notwendiger ist.“
Fritz schwieg eine Weile. Welche Perspektive öffnete sich ihm da auf einmal! Er liebte seinen Herrn von ganzen Herzen; er hätte für ihn mit Freuden das Leben hingegeben, und nun gab es eine Möglichkeit, sein naher Verwandter zu sein! Dieses Schweigen dauerte Müller zu lange. Er fragte:
„Welchen Grund hast du zu diesen Erkundigungen?“
„Oh“, antwortete der Gefragte, „ich halte es für möglich, daß die verschwunden Knaben sich wiederfinden, wenigstens einer von ihnen.“
„Diese Möglichkeit ist natürlich vorhanden“, meinte Müller, erstaunt über die Rede seines treuen Dieners. „Aber wie kommst gerade du dazu, dies zu betonen?“
„Weil es mir scheint, als ob ich zufälligerweise etwas über einen der Knaben erfahren habe.“
„Wirklich? Ist's wahr?“ fragte Müller überrascht. „Das wäre nicht nur ein Glück, sondern geradezu ein Wunder zu nennen! Aber du täuschst dich. Wie sollte gerade Ortry der Ort sein, wo eine solche Nachricht zu bekommen wäre. Es gibt Umstände, Zufälle, Gottesschickungen, über welche man geradezu erstaunen muß. Ich habe gerade hier ein Beispiel davon erlebt. Du weißt, daß auch mein Vater vor Jahren spurlos verschollen ist; keine Nachforschung hat uns Nutzen gebracht, und hier in Ortry habe ich etwas erlauscht, was ganz geeignet ist, das erste Licht in dieses Dunkel zu werfen.“
„Finden Sie eine Spur von dem Verschollenen, so will ich dies Ihnen von ganzem Herzen gönnen, Herr Doktor“, sagte Fritz. „Außerordentlich wäre allerdings, wenn gerade auch hier in Ortry eine Fährte sich öffnet, auf welcher die beiden gesuchten Knaben zu finden sind. Haben Sie dann nicht ein Zeichen an sich gehabt, an welchem sie zu erkennen gewesen wären?“
„An ihrem Körper nicht; aber ihre Kleider sind gezeichnet gewesen, und am Hals hat jeder ein Kettchen gehabt mit einem Löwenzahn, in dessen Innerem sich die Miniaturbilder der Eltern befanden. Bei Zwillingen läßt sich nicht gut von einem Unterschied des Alters sprechen, da dieser ja nur Minuten betragen kann, doch einer ist doch immerhin der Ältere; dieser hatte den rechten und der andere, der Jüngere, den linken Reißzahn. Der Onkel war nämlich einmal in Algerien gewesen und hat dort einen außerordentlich großen, männlichen Löwen erlegt. Die Araber sind sehr abergläubisch. Sie
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