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55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät

Titel: 55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zur Mitternachtszeit in der Tiefe des Waldes, in der Nähe eines so verrufenen Gemäuers, wie der alte Turm es war, ein Grab zu öffnen, um die Gebeine einer Leiche zu entführen.
    „Ich hoffe, man soll nicht bemerken, daß das Grab geöffnet worden ist?“ fragte Müller.
    „Kein Mensch soll es erfahren“, antwortete Hassan in seinem südlichen Dialekt.
    „So wird unsere Mühe eine doppelte sein. Wir müssen den Rasen des Hügels vorsichtig abstechen, um ihn wieder anlegen zu können. Und ferner müssen wir alle Erdkrumen und alle Spuren entfernen, welche unser Werk verraten könnten.“
    Sie begannen die Arbeit.
    Zunächst wurde der Rasen vorsichtig abgehoben und zur Seite gelegt, und dann die Erde des Hügels entfernt. Sie schaufelten sie auf eine breite Felsenfläche, welche in der Nähe lag, und keine Spur von Vegetation trug. Dann erst ging es über das eigentliche Grab her. Sie arbeiteten mit aller Anstrengung, um so bald wie möglich fertig zu werden; aber dennoch währte es fast zwei Stunden, bevor sie in die Tiefe gelangten, in welcher auf Kirchhöfen die Särge zu stehen pflegten. Nun gebrauchten sie die Hacken mit größerer Behutsamkeit, bis endlich ein dumpfer Ton anzeigte, daß sie den Sarg getroffen hatten.
    Bald sahen sie das entfärbte aber noch wohlerhaltene und feste Holz desselben emporschimmern. Sie schaufelten die Erde rund um den Sarg hinweg und versuchten sodann, denselben heraufzuheben.
    „Lassen wir ihn unten“, meinte Müller. „Es genügt ja, ihn zu öffnen.“
    Hassan war einverstanden. Und nun zeigte es sich, daß der Sarg sehr fest zugeschraubt war. Ein Taschenmesser diente als Schraubenzieher, ein mangelhaftes Instrument, aber es genügte doch. Endlich gab der Deckel nach. Müller stand unten, und die beiden anderen Männer leuchteten ihm mit den beiden Laternen von oben herab.
    Der Doktor befand sich vielleicht in einer ebenso großen Erwartung wie Hassan selbst. Er hatte vermutet, ja, es war ihm fast zur Gewißheit geworden, daß der Sarg leer sei. Aber dagegen sprach doch die Schwere desselben.
    „Den Deckel auf!“ sagte Hassan.
    Müller folgte diesem Gebot. Er faßte den Deckel beim Kopfende an und hob ihn empor. Sechs Augen blickten mit gespannter Erwartung nieder. Sie sahen keine Gebeine, sie erblickten halb verfaulte Sägespäne und Steine, mit denen der Sarg gefüllt war.
    „Allah akbar – Gott ist groß!“ rief Hassan erstaunt. „Was ist das?“
    „Ein Betrug, ein großartiger Betrug!“ antwortete Fritz. „Die Baronin ist hier nicht begraben worden!“
    Müller lehnte den Deckel an die schmale Wand des Grabes, bog sich nieder und untersuchte den Inhalt des Sarges.
    „Ich fühle den Boden“, sagte er; „es ist nichts da als Sägespäne und Steine.“
    „So hat man ein Blendwerk getrieben mit Liama, der Tochter unserer Zelte“, sagte Hassan grimmig. „Meine Augen sehen das Verbrechen, und meine Blicke erkennen die Täuschung. Ich schwöre bei Allah, dem allmächtigen und allwissenden Gott, daß –“
    Er hielt erschrocken inne. Ein mächtiger Donnerschlag erschütterte die Erde, und ein blendender Blitz durchzuckte die Nacht mehrere Sekunden lang. Die Augen der drei Männer waren von der Helligkeit desselben fast geblendet, und als die Umgebung wieder im Dunkel lag, sahen sie eine hohe weiße Frauengestalt zu Häupten des Grabes stehen. Sie war tief verschleiert und fragte mit strenger Stimme:
    „Wen sucht ihr hier?“
    „Wir suchen Liama, die Tochter der Beni Arab!“ antwortete Hassan, indem ihm ein Schauder durch die Glieder ging.
    „Sie ist nicht hier; sie ist tot“, antwortete die Gestalt. Müller hatte sich wieder vollständig gefaßt. Er antwortete:
    „Du sagst, daß sie tot sei, aber ihre Gebeine sind nicht im Sarg. Wo liegen sie begraben?“
    „Sie ist zu Erde und Staub geworden, von dem sie genommen ist. Laßt sie ruhen, sonst wird euch der Fluch Allahs treffen!“
    Sie erhob gebieterisch den Arm und machte eine Bewegung, als ob sie sich zurückziehen wollte. Da aber faßte Müller den Rand des Grabes mit beiden Händen schwang sich hinauf und rief:
    „Sie ist nicht zu Erde geworden, sie ist noch Fleisch und Blut, sie lebt; ich werde es dir sogleich beweisen!“
    Er streckte den Arm nach ihr aus, um sie zu fassen, aber in demselben Augenblick zuckten hundert Blitze um das Grab herum; ein fürchterlicher Donner erscholl und unzählige Flammen entsprühten dem Erdboden und fuhren wie in allen Farben glänzende Schlangen durch die Luft.

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