55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
leider sehr, ob er überhaupt wieder zurückkehren wird. Vielleicht ist er tot.“
„Tot? Wieso?“
„Ertrunken meine ich, gnädiger Herr. Die heutigen Morgenblätter bringen die schreckliche Nachricht, daß der gestrige Moseldampfer unterhalb Thron mit Mann und Maus untergegangen ist. Es hat ein schreckliches Unwetter, einen in dieser Stärke noch gar nicht dagewesenen Orkan gegeben, während dessen der Dampfer mit einem Floß kollidierte. Ich weiß genau, daß Doktor Bertrand auf diesem Dampfer zurückkehren wollte.“
Da stand der Kapitän von seinem Stuhl auf, trat auf den Arzt zu und fragte mit einer Stimme, der man doch ein leises Beben anhören konnte:
„Ist dieses Unglück wirklich ein Faktum? Ist die Nachricht verbürgt?“
„Ja. Die jenseitige Behörde fordert bereits zu Sammlungen für die Hinterbliebenen der Verunglückten auf.“
„Dann haben Sie uns eine schlimme Nachricht gebracht. Meine Enkelin, Baronesse Marion, hat sich auch auf diesem Dampfer befunden. Ich erhielt gestern von Koblenz aus ihren Brief, in welchem sie mir dies mitteilte, um mir ihre Ankunft für den heutigen Tag zu melden.“
Der innere Zusammenhang fehlte den Bewohnern von Schloß Ortry so sehr, daß der Alte den Inhalt des Briefes gar niemand mitgeteilt hatte. Kam Marion, so war sie einfach da; das war aber auch alles. Die Baronin hörte also jetzt das erste Wort davon. Sie zuckte zusammen, gab sich aber Mühe, ihre Gefühle zu verbergen, und fragte im Ton der Besorgnis:
„Wie? Unsere liebe Marion befand sich auf dem verunglückten Schiff? Mein Heiland, zwei Unfälle auf einmal! Wer soll dies ertragen!“
Sie schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen und gab sich den Anschein, als ob sie weine. Der Kapitän wandte sich zu ihr um und sagte:
„Verlieren wir die Hoffnung nicht, Frau Tochter! Es ist ja noch immer die Möglichkeit vorhanden, daß einige gerettet worden sind, oder daß ein glücklicher Zufall sie abgehalten hat, dieses Dampfschiff zu besteigen. Untersuchen Sie den Knaben, Doktor!“
Seine Worte hatten, der Gegenwart des Arztes wegen, einen ergriffenen, teilnahmsvollen Ton; in seinem Blick jedoch lag ein Ausdruck, welcher deutlich sagte, daß er sehr wohl wisse, daß jene sich innig freuen würde, ihre Stieftochter unter den Toten zu wissen.
Der Doktor näherte sich nun dem Diwan, um Alexander zu untersuchen, wobei ihm der Alte den Hergang mit kurzen Worten erzählte.
„Es hat nichts zu sagen“, erklärte der Arzt dann. „Der junge Herr ist völlig unverletzt. Er wird sich bei einiger Ruhe schnell erholen. Vielleicht haben Sie die Güte, nach Thionville wegen der Arznei zu senden, welche ich verschreiben werde. Ich wünsche von Herzen, daß die gnädige Baronesse sich ebenso aus aller Gefahr befinden möge, wie dieser Patient.“
Er schrieb ein Rezept, übergab dasselbe und empfahl sich dann. Er hatte den Salon kaum verlassen, so trat mit leisen Schritten ein Diener ein.
„Was gibt es?“ fragte der Kapitän.
„Der neue Erzieher ist soeben angekommen, gnädiger Herr, und hat mich gebeten, ihn anzumelden.“
„Ah! Was ist er für ein Mann? Wie präsentiert er sich?“
Der Diener zuckte mit einem leisen, zweideutigen Lächeln die Achseln und schwieg.
„Ich verstehe“, meinte der Alte. „Wenn er mir nicht paßt, jage ich ihn wieder fort. Er mag eintreten, obgleich wir eigentlich nicht in der Lage sind, ihn hier und jetzt zu empfangen. Aber auf einen deutschen Schulmeister braucht man keine Rücksicht zu nehmen. Sage ihm, daß sich ein Patient hier befindet. Der Mann mag leise eintreten.“
Der Diener entfernte sich und ließ Müller ein, nachdem er ihm die soeben erlangte Weisung erteilt hatte.
Müller verbeugte sich tief und respektvoll und wartete, daß man ihn anreden werde. Der Blick der Baronin ruhte mit einem beinahe erschrockenen Ausdruck auf ihm.
„Ah, das ist ja geradezu eine Beleidigung!“ hauchte sie.
Der Kapitän betrachtete den neuen Lehrer mit mitleidigem Hohn und sagte rücksichtslos:
„Herr, Sie sind ja bucklig!“
„Leider“, antwortete Müller sehr ruhig. „Aber ich hoffe trotzdem, Ihre Zufriedenheit zu erlangen. Die Gestalt ist es ja nicht, mit welcher man Kinder erzieht.“
Der Alte machte eine verächtliche, zurückweisende Handbewegung und sagte kalt:
„Aber die Gestalt ist es, welche den ersten und letzten Eindruck macht. Wie soll mein Enkel Sie achten und Respekt vor Ihnen haben! Glauben Sie, daß wir die Absicht haben, uns mit einem verwachsenen
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